Donnerstag, 31. Mai 2012

35. Bittres Gift...

Ich beende meine kleinen Hinweise zum Redenschreiben mit einem wunderschönen Gedicht von Eugen Roth. Er bringt uns zum Lachen und rettet uns damit aus der Situation, die er so trefflich bedichtet.

Ein Mensch sitzt kummervoll und stier
vor einem weißen Blatt Papier.
Jedoch vergeblich ist das Sitzen –
Auch wiederholtes Bleistiftspitzen
schärft statt des Geistes nur den Stift.
Selbst der Zigarre bittres Gift,
Kaffee gar, kannenvoll geschlürft,
den Geist nicht aus den Tiefen schürft,
darinnen er, gemein verbockt,
höchst unzugänglich einsam hockt.
Dem Menschen kann es nicht gelingen,
ihn auf das leere Blatt zu bringen.
Der Mensch erkennt, dass es nichts nützt,
wenn er den Geist an sich besitzt,
weil Geist uns ja erst Freude macht,
sobald er zu Papier gebracht.

Montag, 12. März 2012

34. Georg Orwell: "1946"

Der englische Schriftsteller Georg Orwell ist bei uns besonders bekannt durch seine Werke "Farm der Tiere" und "1984". Er hat viel mehr geschrieben - auch über das Schreiben. Aus Georg Orwells 1946 erschienenem Essay "Politics and the English Language" stammen die folgenden sechs Regeln für einfaches Schreiben, die ewig gelten, insbesondere für Redetexte.

Erstens:
Niemals eine Metapher, einen Vergleich oder eine Redewendung benutzen, die einem ständig begegnet.

Zweitens:
Niemals ein langes Wort benutzen, wo auch ein kurzes passt.

Drittens:
Wenn ein Wort gestrichen werden kann, dann wird es auch gestrichen.

Viertens:
Niemals das Passiv benutzen, wo auch Aktiv möglich ist.

Fünftens:
Niemals ein Fremdwort, ein Fachwort oder einen Jargonausdruck benutzen, wo die Umgangssprache einen geeigneten Ausdruck bietet.

Sechstens:
Lieber jede dieser Regeln brechen als etwas schreiben, was absolut unmöglich klingt.

Montag, 5. März 2012

33. Sudoku

Erfolg ist angeblich fünf Prozent Inspiration und 95 Prozent Transpiration. So verhält es sich auch beim Redenschreiben. Eine Idee sollte man natürlich haben; aber um sie zur Geltung zu bringen, ist viel systematische Fleißarbeit nötig, und dafür ist ein gutes Computerprogramm hilfreich.

Ich benutze mit Vorliebe das Autorenprogramm "Scrivener". Inzwischen gibt es dieses vielseitige Schreibwerkzeug nicht nur für Macintosh, sondern auch für Windows, allerdings noch immer nicht in deutscher Version.

Was macht "Scrivener" so nützlich für den Redenschreiber?

-   Die Software arbeitet projektbezogen und ermöglichst es, allen Stoff auf ein- und derselben Benutzeroberfläche zu versammeln und zu strukturieren, den ich für eine Rede benötige beziehungsweise der bei der Ausgangs- und Ergänzungsrecherche anfällt.

-   Das gilt für Medien und Dateien aller Art, aber auch für das eigene Redenarchiv, auf das man ja immer wieder zurückgreift. Nach Stichworten in der linken Spalte des Desktop geordnet, lässt sich alles rasch finden und für den Text verwenden, der in der Hauptspalte in der Mitte entsteht. Rechts ist Platz für Randbemerkungen und Zusammenfassungen.

-  Die Struktur des Manuskriptes lässt sich mit diesem Programm sehr leicht verändern, ohne dass der Überblick verloren geht. Auch das Arbeiten an Abschnitten bei vorläufiger Gliederung ist komfortabel.

Für mich ist "Scrivener" das Programm der Wahl, um einen wachsenden Fundus an Basisinformationen, an Quellen, an Beispielen, Geschichten und Anekdoten, an Formulierungsbausteinen und Rechercheergebnissen zu verwalten und für immer neue Texte effizient zu nutzen. Im Zeitalter des mobilen Arbeitens ist es von Vorteil, dass "Scrivener" auch von unterwegs gespeist werden kann. Das geschieht mit dem Texteditor "Plaintext" vom Ipad aus, per Dropbox synchronisiert.

Das Ipad sollte übrigens jeder, der von Berufs wegen oft reden muss, zumindest einmal testen. Wer damit etwas anfangen kann, dem kann es das Leben erleichtern: Man hat das komplette Archiv wichtiger Texte und Dokumente gleichsam unter dem Arm, man kann umfangreiche Redemanuskripte wie auf einem Teleprompter ablaufen lassen und auf diese Weise lebendiger vortragen, und wenn es in einer Veranstaltung mal zu langweilig wird, kann man Sudoku spielen.

Montag, 27. Februar 2012

32. Vertretungen

Es war die Woche des gesprochenen Wortes. Selten ist eine Veranstaltung so stark beachtet worden wie die Gedenkfeier für die Nazimordopfer am Donnerstag im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt. Was würde der Staat sagen zu dem Unsäglichen, wie würde er sich bekennen zu dem Unglaublichen, das den Mordopfern und ihren Angehörigen widerfuhr?

Auch aus der Sicht der Redenschreiberei war der Termin ungewöhnlich spannend: Würde es eine Wulff-Rede sein oder eine Merkel-Rede? Als der Bundespräsident ein paar Tage vor seinem wohl heikelsten Auftritt zurücktrat, war sein Redemanuskript sicher schon fertig. Gab es das Bundespräsidialamt an die Kollegen vom Bundeskanzleramt weiter, als Frau Merkel die Rede übernahm?

Es kommt auf allen Ebenen vor, dass ein Redner ausfällt. Mal löst man das Problem wie der König von Hawaii, der als erster ausländischer Ehrengast im Jahre 1874 vor dem amerikanischen Kongress sprechen sollte. Er wurde plötzlich krank und ließ seine Rede von einem Mitarbeiter verlesen. Mal löst man es wie der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2005 von einem fachkundigen Vertreter des nächst niedrigeren Ranges vortragen ließ, nämlich vom Verteidigungsminister. Immerzu trägt irgendwo in Deutschland ein Staatssekretär eine Minister- oder ein Minister eine Ministerpräsidenten-Rede vor. Nur wenn der Termin frühzeitig übertragen wird, wird eine eigene Rede gefertigt und gehalten.

Aber am Donnerstag war alles viel komplizierter, weshalb es zu der einmaligen Konstellation kam: BK springt für BuPrä ein. Der Wulff-Text konnte ja nicht von einem Vertreter verlesen werden, denn Wulff gab es gar nicht mehr. Ebenso verbot sich eine Vertretung nach Schema F; denn der Anlass war politisch zu gravierend für das zweite oder dritte Glied. Insofern war es eine gute Lösung, dass die Bundeskanzlerin das Wort ergriff - vielleicht sogar besser als der ursprüngliche Plan, denn die Regierungschefin verkörpert die verantwortliche Staatsmacht, die sich hier stellen musste, während der Präsident sie nur repräsentiert.

Frau Merkel ergriff die Chance, und wir erlebten eine Bundeskanzlerin in einer rhetorischen Form, die man von ihr nicht mehr erwartet hätte nach all den langweiligen und platten Reden, die sie sonst herunterleierte. Wer immer diesmal den Text entworfen hat - hier sprach eine Bundeskanzlerin, die die richtige Botschaft formulierte und dabei den Ton traf. Es sprach eine Staatsfrau, die ihrer Verantwortung angemessen auftrat, die Anteilnahme und auch Scham so ausdrückte, dass man es ihr glauben konnte. (Von ernsthafter Vorbereitung zeugte auch, dass sie alle türkischen Namen glatt über die Lippen brachte; nur beim Namen Wulff kam es zu einem kleinen Verhaspler.)

Wie gut die Entscheidung von Angela Merkel war, die Sache an sich zu ziehen, zeigte ein anderer Fall in der gleichen Woche. Hier übernahm der offizielle Vertreter des Bundespräsidenten einen Redetermin und auch gleich das für Christian Wulff vorbereitete Manuskript. Der Mitschnitt legt Zweierlei nahe: Vermutlich stammt der Sprechzettel von einem Praktikanten, weil die anderen Redenschreiber mit Wichtigerem wie Gedenk- oder Rücktrittsreden beschäftigt waren. Und der Redner spürte sichtbar, dass das gekünstelte Manuskript nicht zu ihm passte. Er hätte es beiseite legen und für den Rennfahrer Vettel ein paar Sätze aus dem Stehgreif finden müssen.


Montag, 20. Februar 2012

31. Das ist nicht lustig

Am Aschermittwoch ist alles vorbei! Diese Gewissheit ist ein Trost für die Ghostwriter hochgestellter Parteileute, die im politischen Aschermittwoch eine tragende Rolle spielen müssen, nämlich die des witzig-krachenden, des politisch-polemischen Volksredners.

Viele Redenschreiber sind betroffen; denn was palavernde Bauern vor 400 Jahren am Rande des Vilshofener Vieh- und Rossmarktes begannen und was Franz-Josef Strauß mit seiner saalfüllenden Potenz in den 1950er Jahren zum Großritual machte, ist inzwischen zu einer Art Landplage geworden, wie die Süddeutsche Zeitung anmerkte: Überall gibt es diese Veranstaltungen, in denen Politiker eine Mischung aus Kabarett, Karneval und politischer Führung auf die Bühne zu bringen versuchen, selbst im nüchternen Schleswig-Holstein.

Ob in Vilshofen, Passau oder Marne, es ist überall das gleiche: Der Redner will das Publikum zum Lachen, Klatschen, Trampeln bringen; er will grobe Klötze auf grobe Keile setzen, die er sich selbst zurecht legt; er will die Anhänger mitreißen und die Gegner einschüchtern; er will Witze auf Kosten der anderen machen, um die eigenen Reihen zu schließen. Er will Pointen abschießen, die im Saal einheizen und in den Medien widerhallen.

Eine Regierungserklärung ist im Vergleich dazu ein Klacks. Der Redner sollte sich - schon wenn die Einladung sondiert wird - überlegen, ob er in der Bütt' wirklich eine gute Figur macht. Und der Ghostwriter muss sich fragen, in wieweit so ein Fall in seine Kompetenz fällt. Ein verantwortliches Nein ist besser als ein Ja aus Selbstüberschätzung oder Feigheit. Es gibt ehrenwerte Alternativen zum Selberschreiben: Man kann vorschlagen, einen Pointenfachmann aus der Unterhaltungsbranche hinzu zu ziehen; man kann raten, eine Redenschreiberagentur zu beauftragen, die auf Witz und Klamauk spezialisiert ist. Der Ghostwriter managt dann den Prozess und ist das Korrektiv für die Externen. Denn er ist ja der Experte in der Frage, was zu seinem Chef passt und was nicht.

Der Redner selbst wird sich, wenn denn der Text steht, auf den Vortrag hoffentlich so gründlich vorbereiten wie sonst selten. Pointen zünden nur, wenn sie präzise abgewickelt werden. Der Plot muss funktionieren, jedes Wort muss an seinem Platz sein, aber auch Stimme, Melodie und Mimik müssen passen. Eine gute Idee holpert, wenn sie verkrampft vorgetragen wird; eine prononcierte Vortragsweise nützt nichts, wenn der Inhalt peinlich ist. Ein Witz krepiert, wenn er nicht verstanden wird. Also muss getestet und geübt werden.

Eine lustige Rede ist immer eine schwere Geburt. Aber wenn sie dann halbwegs funktioniert hat, sind die Schmerzen bald vergessen. Und wenn die nächste Anfrage nach einer Gaudi-Rede ins Haus kommt, wird man sagen: Aber gerne doch, das machen wir mit links...




Montag, 13. Februar 2012

30. Mir san mir


,,Der Vorschlag der XY-Fraktion wird kritisch gesehen", schrieb ein Fachreferent in den Redeentwurf für seinen Minister. Das ist schönstes Verwaltungsdeutsch - möglichst passiv und nur nicht zu konkret: Ob da eine Position oder eine Beobachtung formuliert worden ist, kann man allenfalls aus dem Zusammenhang schließen.

Wenn er wenigstens geschrieben hätte: "Wir sehen den Vorschlag kritisch." Das wäre immerhin etwas konkreter und typisches Politikdeutsch. Denn auch dort gibt es Formeln, die der Zuhörer erst entschlüsseln muss, und die beliebteste von ihnen dürfte das Wörtchen ,,wir" sein.  An einem einzigen Sitzungstag des Schleswig-Holsteinischen Landtags verzeichnete das stenografische Protokoll das Personalpronomen 1.Person Plural 481 Mal, weit häufiger als die Singular-Variante.

Nun ist das "wir" aber auch ein wahrer Joker. Mal steht es für ein majestätisches Ich ("Wir, Kaiser Wilhelm von Gottes Gnaden "), mal für den bescheidenen Redner oder Autor, der sich mit dem Publikum gemein macht ("Wir wissen doch..."); das "wir" kann einschließen ("Wir wollen doch alle...") und ausschließen ("Wir haben schon immer dafür gekämpft...").

Wenn ein Minister "wir" sagt, kann vieles gemeint sein: er und alle Anwesenden, er und die gesamte Regierung, er und seine Mitarbeiter im Ministerium, er und seine Amtskollegen, er und seine Fraktion oder Partei, er und das Volk, er und sein Hund und und und...

Jeder Mensch kann, hoffentlich, ganz oft "wir" sagen und jedes Mal eine andere Gruppe meinen, der er angehört. Aber Redner sind auserkoren, ihre Gedanken vor großem Auditorium darzulegen. Dann sollten sie - und ihre Ghostwriter - nicht so bequem sein, den Joker zu spielen, wo auch eine bestimmte Karte passt - wenn man sie denn sucht.

In der Juristerei gibt es den Grundsatz der Bestimmtheit. Es muss immer klar sein, was  gemeint ist. Das sollte auch für die öffentliche Rede gelten, insbesondere im Hinblick auf das Subjekt, das etwas will, meint, denkt, fordert, ablehnt oder unterstützt. Frei nach dem bayrischen Grundsatz: Mir san mir - und ich bin ich.


Montag, 6. Februar 2012

29. Bürger-to-go

"Man muss die Menschen mitnehmen." Dieser Satz könnte aus einem ÖPNV-Grundsätze-Gesetz entnommen sein, wenn es denn eines gäbe: Ganz klar - Eisenbahn, Bus, Taxe müssen die Menschen mitnehmen und sollen sie nicht stehen lassen.

Aber es handelt sich nicht um den Schlüsselsatz der Personenbeförderung, sondern um ein Sprachunkraut, das sich im Funktionärsdeutsch ungefähr so invasionsartig ausbreitet wie die allergene Ambrosia in der Pflanzenwelt unter den Bedingungen des Klimawandels.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will es und die Kirche in Höxter auch; VW-Chef Martin Winterkorn und das Fachmagazin "Friseurwelt", der Rewe-Aufsichtsratsvorsitzende und die FDP Berchtesgarden, der Schalke-Boss Tönnies, der DIHK-Präsident Driftmann, die neue Finanzdezernentin der Universität Jena, der Innenminister von Rheinland-Pfalz und der Wirtschaftsminister von Bayern - sie alle wollen das eine, nämlich die Menschen mitnehmen.

Es handelt sich um eine Art Selbstbeschwörungsformel von Mächtigen, die eine Grenze ihrer Macht erfahren: Das Volk will nicht, jedenfalls nicht auf Anhieb, so wie es soll - beim Bau von Stromtrassen, in der Trainer-Frage, beim Autokauf, bei der Rettung von Banken, Staaten oder Währungen. Die Devise lautet: Wir bestimmen, wo es lang geht, und wenn die Bürger nicht von allein Schritt halten, dann nehmen wir sie eben mit.

In die Demokratie, in das Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten, zwischen dem Souverän und seinen leitenden Angestellten, passt das Bild ganz und gar nicht. Es ist anmaßend, patriarchalisch, manipulativ. Regierende schulden den Bürgern Rechenschaft für das, was war, und Gründe für das, was kommen soll. Den "Bürger-to-go" aber gibt es nicht.

Montag, 30. Januar 2012

28. Das innere Team


Der Chef kommt von einer Veranstaltung zurück und sagt zum Ghostwriter: ,,Ich fand die Rede ja schön, als ich sie las. Aber die Leute klinkten sich aus. Es kam erst wieder Leben in die Gesichter, als es um Alltagsprobleme ging. Allzu Philosophisches sollten wir doch lieber lassen."

Etwas grundsätzlicher als sonst war das selbstgewählte Thema schon, etwas abstrakter vielleicht die Gedanken. Aber philosophisch? Egal, es war der Ghostwriter-HAU eingetreten, der häufigst anzunehmende Unfall: Der Köder hatte dem Angler geschmeckt, aber mögen muss ihn der Fisch!

Wie kann das passieren? Ich nehme Professor Friedemann Schulz von Thun zu Hilfe, den großen Kommunikationspsychologen aus Hamburg. Von ihm stammt das Modell des Inneren Teams und der diesbezügliche Reim: "Willst du ein guter Kommunikator sein, dann schau' auch in dich selbst hinein!" Dort fänden wir in der Regel verschiedene Stimmen, ,,die sich selten einig sind und die alles daran setzen, auf unsere Kommunikation und unser Handeln Einfluss zu nehmen".

Schauen wir mal in den Ghostwriter hinein, wenn er eine Rede vorbereitet. Eine muntere Runde trifft sich da, es geht zu wie im Weltsicherheitsrat: divergierende Interessen, schlechte  Übersetzung, alle haben eine Stimme, manche ein Veto. ,,Ich vertrete hier den Redner'', sagt der erste: "Ich verlange, dass er gut aussieht mit der Rede. Ihr wisst, was ich meine: klug, aber nicht abgehoben; kompetent, aber verständlich; problembewusst, aber lösungsorientiert; entschlossen, aber offen; kundig, aber nicht besserwisserisch. Und ein bisschen Vision wäre auch nicht schlecht. Vor allem müsste es mal etwas Besonderes sein."

Der Vertreter des Veranstalters sagt, er könne sich kurzfassen: "Ich will nur eins -  eine gelungene Veranstaltung und das Thema Schwarzarbeit muss vorkommen." "Nichts dagegen", sagt der Publikumsvertreter, "aber wenn wir uns - mit An- und Abfahrt - drei bis vier Stunden um die Ohren hauen, dann soll es sich auch lohnen. Wie ihr das macht, ist mir egal."

Weitere Wortmeldungen? Ja, unbedingt, der Ghostwriter selbst! Er muss ja die Wünsche der anderen zum Ausgleich bringen und ist doch selbst kein Eunuch: Er möchte zeigen, was er kann; er möchte nicht als Platt-Schnacker dastehen, der das Publikum unterfordert; nicht als Überflieger, der über die Zuhörer hinweg formuliert; nicht als unfähig, indem er das Puzzle aus Redner, Rede, Situation, Publikum, Rahmen, Tagesaktualität usw. vermasselt.

Laut Schulz von Thun ist das innere Team mitunter ein zerstrittener Haufen, der sehr lästig sein kann. In unserem Falle ist es fast wie im richtigen Leben: Jeder sieht nur sein Interesse, und das ist bei allen das gleiche: Man will nicht für blöd gehalten werden - der Ghostwriter nicht vom Redner, der Redner nicht vom Publikum, das Publikum nicht vom Redner. Beim inneren Team des Ghostwriters ist es wie bei realen Teams: Die Sitzung ist zu Ende, aber es ist nicht alles ausdiskutiert. Einige haben sich in den Vordergrund gespielt, und jemand hätte ihnen mehr Kontra geben sollen. Es gibt ein Ergebnis, aber es ist zu vage geblieben.

So kann es kommen, dass eine Rede nicht gut funktioniert und sich das erst "in situ" zeigt. Was lehrt mich der Fall? Der Ghostwriter muss an sich arbeiten, was das Leiten und Moderieren des inneren Teams angeht.





Montag, 23. Januar 2012

27. Pizza ist das A und O

"Ich erwarte", schrieb Cicero vor über 2000 Jahren, "dass der vollkommene Redner sich zunächst ein Thema ausfindig macht, womit er sich einer kultivierten Hörerschaft würdig zeigt, bevor er überhaupt einen Gedanken an Sprache und Ausdruck verwendet."

Als ich einmal eilig eine Rede zu schreiben hatte, bei der alles unklar schien, ging ich zum Italiener, um essend und trinkend zu überlegen, wie ich die Sache angehen könnte. An diesem Abend entwickelte ich eine Checkliste zur Themenfindung und nannte sie, vom Schöpfungsort inspiriert, "Pizza ist das A & O".

P  wie Publikum: Wen hat der Redner vor sich? Was sind das für Leute? Wo kommen sie her? Wie viele sind es? In welcher Situation befinden sie sich?

I  wie Interessen: Was bewegt die Zuhörer? Was wollen sie und was wollen sie nicht? Welchen Interessen ist der Redner verpflichtet?

Z  wie Ziel: Was soll mit der Rede erreicht werden? Da ist vieles denkbar: Unterhaltung, Motivation, Ehrung, Information, Beziehungspflege und so weiter. Aber man muss sich entscheiden, sonst wird es ein Wischiwaschi.

Z  wie Zusammenhang: Sind die Zuhörer und ihre Interessen in einen größeren Zusammenhang zu stellen? Ergibt sich daraus ein Thema?

A  wie Aktualität: Was beschäftigt gerade die politische Debatte, die Medien, die öffentliche Meinung? Vielleicht lässt sich daraus ein Thema ableiten, vielleicht wird ein Aspekt erkennbar, der unbedingt vorkommen muss.

Wenn man diese fünf Punkte durchgeht, hat man am Ende zumeist ein interessantes Thema für die Rede. Nun empfiehlt es sich, dieses vorläufige Thema kritisch zu überprüfen.

I  wie Information: Sind genügend gesicherte Fakten, Meinungen, Einschätzungen verfügbar bzw. zu beschaffen, um das Thema fundiert zu bearbeiten?

S  wie Stellenwert: Kann sich der Redner damit sehen lassen? Ist das Thema relevant genug?

T  wie Tischgespräch: Nach der Rede stehen die Zuhörer an Bistro-Tischen beieinander. Werden sie über den Inhalt der Rede sprechen? Oder nur darüber, wie langweilig es wieder war oder wie komisch der Versprecher?

Weiter geht es mit dem Check, ob die Rede angemessen und machbar ist. Noch ist Zeit zur Umkehr, noch können wir von vorn beginnen.

D  wie Dauer: Bekommen wir das vorgesehene Thema in den Zeitrahmen eingepasst? Ist es so komplex, so vielschichtig, dass man es verstümmeln müsste? Oder gibt es so wenig her, dass es zu sehr verdünnt werden müsste?

A  wie Applaus: Bietet das Thema Stellen, an denen das Publikum klatschen kann?

S  wie Sahnehäubchen: Gibt es Gelegenheit, eine Kür einzubauen? Eine Passage, mit der Redner sicher punktet?

Nun kommt der finale Check, ob das ausgewählte Thema wirklich geeignet ist für den Menschen, der die Rede halten soll, und für das Publikum, das sie sich anhören muss.

A  wie authentisch: Kann der Redner mit dem Thema authentisch wirken? Passt es wirklich zu ihm? Nimmt man es ihm ab? Oder denkt der Zuhörer: Da hat der Ghostwriter aber kräftig gegoogelt!

O  wie originell: Gelingt es, das Thema so darzustellen, wie es nicht schon tausendmal gemacht worden ist? Sind wir in der Lage, zu dem Gegenstand originäre, originelle Gedanken / Aspekte 7 Zusammenhänge zu entwickeln, mit denen sich unser Redner abhebt?

Es war noch nett beim Italiener. Bei mir funktioniert "Pizza ist das A & O" recht gut, hoffentlich bei Ihnen auch!


Montag, 16. Januar 2012

26. Grußwort an "chrismon"


Referentin Ulla P. schreibt: Ich habe neulich in dem evangelischen Magazin "chrismon" eine Kolumne gelesen, darin wurden Grußworte als überflüssig und Grußwortredner als lästig beschrieben. Wir müssen oft Grußworte für den Minister entwerfen; aber wenn er damit doch nur nervt - warum ersparen wir uns das nicht?

Liebe Ulla P., ich habe die Kolumne auch gelesen und kann gut verstehen, dass Sie so etwas nicht gerade motiviert. Aber "chrismon" ist nicht die Bibel, und selbst die muss immer ausgelegt werden vor dem Hintergrund der jeweiligen Situation. Die Autorin wollte vermutlich eine Veranstaltung moderieren, ein langweiliger und langatmiger Grußwörtner wird vor ihr dran gewesen sein, ihr Kärtchen-Konzept und das Zeitbudget durcheinander gebracht haben. Nun möchte sie das Kind mit dem Bade ausschütten.

Aber ich muss den Grußwörtner als solchen in Schutz nehmen. Er zwingt sich normalerweise nicht auf, sondern wird gebeten. Kann sein, man will dem Minister, dem Bürgermeister, dem Bischof, dem Superintendenten die Ehre erweisen, kann sein, man will sich mit ihnen schmücken. Kann auch sein, man will, indem man um ein Grußwort bittet, dankbar, willfährig oder höflich sein. Aber jedes Grußwort, das Gott halten lässt, ist vom Veranstalter verursacht. Er sollte dabei rigoros Grenzen setzen - die Zahl der Grußworte möglichst  knapp über null, ihre Dauer zwischen drei und zehn Minuten.

Liebe Ulla P., wie es ankommt, hängt aber auch von uns ab, die wir die Texte entwerfen. Gut formulierte, gut dosierte (und gut vorgetragene) Grußworte - siehe auch Blog-Beitrag 12 - bereichern eine Veranstaltung und belasten sie nicht. Ein gutes Grußwort regt eine zum Abwarten gezwungene Moderatorin nicht auf, sondern an. Ein gutes Grußwort kann eine Veranstaltung sogar mit einem Vorzeichen versehen, das alles aufwertet, was danach kommt. Solche Grußworte möchten wir gern schreiben.

In diesem Sinne - frohes Schaffen!

Montag, 9. Januar 2012

25. Ausnahmezustand

Wenn der Chef in die Bredouille gerät, herrscht auch für die Ghostwriter Ausnahmezustand. Sie kommen spätestens dann ins Spiel, wenn das Krisenmanagement schlecht gelaufen ist und nun der so genannte Befreiungsschlag geführt werden soll: Ein einziger Auftritt, die richtigen Worte, und schon erscheinen die Vorwürfe kleinlich oder gar falsch und die Kritiker unredlich oder gar böswillig!

Eine solche Erklärung zu entwerfen oder, noch verwegener, Aussagen für ein Interview zu entwickeln und für alles, was kommen könnte, treffende Sätze zu formulieren, gehört zu den schwierigsten Aufgaben eines Schreibhelfers. Denn die Umstände sind extrem heikel:
Das gegnerische Lager ist, wenn der Stein erst einmal richtig rollt, so kritisch wie sonst nie. Es gibt kein Guthaben und kein Wohlwollen; jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt, keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, etwas falsch zu verstehen. Mit anderen Worten: Man hat es mit gnadenlosen Gegnern zu tun.

Es kommt also auf jedes Jota an. Deswegen redet oft ein Anwalt mit. Er ist, wie der Ghostwriter, Experte des passenden Wortes, aber jeder hat eine andere Brille auf: Der eine zielt auf Eindruck, der andere auf Unangreifbarkeit; dieser hat die Öffentlichkeit im Auge, jener die juristische Dimension. Beides ist nicht immer leicht in Einklang zu bringen.

Und dann ist da der Chef selbst. Wahrscheinlich ist er stark unter Druck, denn es geht um sein Amt, um seine Ehre, um die Familie, um die Zukunft. Wahrscheinlich fühlt er sich hilflos, denn er ist es gewohnt zu agieren, und nun bestimmen andere das Geschehen. Sonst führt er Regie, und nun weiß er nicht, was als Nächstes kommt.

Wahrscheinlich hat er selbst auch schon mal einem Gegner in prekärer Lage Salz in eine Wunde gerieben; nun, da ihm Gleiches widerfährt, fühlt er sich ungerecht behandelt. Damals war ihm klar: Der Anlass kann unbedeutend sein, aber gefährlich ist die Prozedur, die man Krisenmanagement nennt: Das ist das eigentliche Glatteis, dort droht man auszurutschen. Heute, da er selbst Gegenstand dieses Spiels ist, verdrängt er diese Regeln und denkt: Warum kapieren die denn nicht, dass ich nichts Unrechtes getan habe? Wahrscheinlich sieht er viel bösen Willen, und das schärft nicht gerade den Sinn für Analyse und Strategie.

Unter diesen schwierigen Bedingungen muss die vielleicht alles entscheidende Erklärung entworfen werden. Was ist das Ziel? Und welche Stoßrichtung, welche Struktur, welche Argumente, welche Tonlage führen dahin? Auch wenn politische Affären zumeist den gleichen dynamischen Gesetzen folgen, lässt sich nur im Einzelfall bestimmen, was Erfolg verspricht. Aber es gibt ein paar Regeln, die zu verletzen einen Misserfolg in der Krisen-Abwehr nahezu garantiert.

Erstens: Wahrheit

Immer die Wahrheit und nichts als die Wahrheit! Alles was man erklärt, muss auch ein paar Recherchen später noch stimmen. Selbst wenn es in der Sache egal wäre, ob ein Kreditvertrag zwei Wochen früher oder später in Kraft trat - was dazu gesagt wird, muss absolut stimmen. Die kleinste Unwahrheit kann zur größten Gefahr werden.

Zweitens: Wahrheit plus

Immer großzügig sein: Nicht wie ein Winkeladvokat vorgehen nach dem Motto: Wenn scheibchenweise gefragt wird, antworte ich auch scheibchenweise. Jeder Nachtrag, der erzwungen wird, kostet Glaubwürdigkeit. Was - und sei es nur scheinbar - aus freien Stücken dargelegt wird, stärkt die Glaubwürdigkeit. Zusammenhänge vollständig darlegen, auch wenn es unangenehm ist. Wenn es heißt: "Er gibt immer nur zu, was ihm schon nachgewiesen ist!", dann ist es schon fünf nach zwölf.

Drittens: Klarheit

Keine Haarspalterei! Nicht schwiemeln! Natürlich darf jeder Freunde haben und sie auch besuchen. Aber eine Ferienvilla im fernen Ausland ist nun einmal etwas anderes als das Gästezimmer, in dem man nach dem gemeinsamen Kochen, Essen und Trinken müde niedersinkt.

Viertens: Konsistenz

Absolute Stimmigkeit in der Argumentation. Alle Fakten, auch im Detail, müssen zusammenpassen, sonst werden neue Zweifel, Fragen, negative Urteile provoziert.Die vorgetragenen Fakten müssen zu den subjektiven Äußerungen passen, und die müssen untereinander übereinstimmen. Es ist wirkt widersprüchlich, wenn man erst die Belastungen des Amtes beklagt und dann den früheren US-Präsidenten Harry S. Truman (sehr frei) zitiert: "Wem es in der Küche zu heiß ist, der soll nicht Koch werden wollen."

Fünftens: Zielstrebigkeit

Nicht das Ziel aus den Augen verlieren. Wenn Sachkompetenz demonstriert werden soll, dann muss man besonders sachkompetent auftreten. Wenn Sympathie zurückgewonnen werden soll, dann muss man versuchen, besonders sympathisch zu wirken. Wenn Vertrauen zurück gewonnen werden soll, dann muss man besonders vertrauenswürdig auftreten. Erst Fehler eingeräumen und dann ein dickes "Aber" hinterher schicken, das konterkariert das Ziel. Deine Rede sei ja, ja, nein, nein: Ja, diesen Fehler habe ich gemacht! Nein, dieser Vorwurf trifft nicht zu! Entschuldigungen - richtiger: Bitten um Entschuldigung - müssen überzeugend vorgetragen werden; umso härter kann die Gegenwehr in anderen Punkten ausfallen.

Sechstens: Keine Larmoyanz

Nicht jammern! Niemals den Amtsstress als Erklärung dafür anführen, warum man Fehler gemacht hat, nach dem Motto: Fünf Länder in vier Tagen, zehn Termine am Tag, und dann auch noch das! Wer als Protagonist einer politischen Affäre Mitleid sucht, soll sich an die Familie oder an Freunde wenden, aber normalerweise nicht an die Öffentlichkeit. Wie bei der Fuchsjagd nimmt die Meute die Witterung nur noch umso besser auf, und Erwin Mustermann sagt sich: Der soll sich mal nicht so haben! Ich habe es auch nicht leicht! Hat man ihm das Amt aufgezwungen?

Was das Allerwichtigste bei der Affären-Bewältigung ist, und zwar vom aller ersten Moment an, ist in George Clooneys hervorragenden Film "The Ides of March" zu sehen. Im Wahlkampfflugzeug fragt der Präsidentschaftsbewerber Mike Morris seinen Pressechef Stephen, wie es um die Kampagne stehe. ,,Toll", antwortet Stephen, und Morris erwidert: Für diese Antwort bezahle ich Paul (Leiter der Kampagne). Dich bezahle ich für die Wahrheit."