Montag, 30. Mai 2011

22. Love it or leave it

Niels H. schreibt: Was mache ich, wenn ich eine Rede schreiben soll, die nicht meiner Meinung entspricht? Ich kann doch nicht gegen meine Überzeugung schreiben!

Lieber Niels H., ich kenne das Problem gut. Ich habe Reden gegen einen gesetzlichen Mindestlohn geschrieben, obwohl ich ihn für notwendig halte. Ich habe in Redeentwürfen für die Atomkraft als "Brückentechnologie" argumentiert, obwohl ich schon immer dachte: So schnell wie möglich weg damit, und selbst dann haben wir noch tausende von Jahren ein Riesenproblem am Hals.

Wo ist die Grenze? Ich fürchte, es gibt keine Demarkationslinie - diesseits ist man noch ein Dienstleister, der seinen Job erledigt, und jenseits ist man der Opportunist oder Feigling, der die eigene Überzeugung verrät. In anderen Berufen stellen sich ähnliche Grenzfragen. Der Anwalt zum Beispiel, der einen Mörder verteidigt, vertritt vor Gericht mit größtmöglicher Plausibilität den Täter besser, als der es selbst könnte, und relativiert als Anwalt eine Tat, die er als Person verabscheut. Ist es beim Redenschreiber nicht ähnlich? Auch er versetzt sich in die Lage eines anderen und vertritt dessen Position, im besten Falle mit einer Stringenz in der Sache und mit einer Eleganz in der Form, die die Möglichkeiten des Redner noch übertreffen.

Aber es gibt einen Unterschied: Der Strafverteidiger übt sein Handwerk ausschließlich zu einem höheren Zweck aus, er dient nicht dem Mörder, sondern der Rechtspflege. Kann oder muss das der Redenschreiber auch von sich sagen? Der Ministeriumsmitarbeiter, der als Person für den sofortigen Atomausstieg ist und als energiepolitischer Referent die "Brücken"-Position seines Ministers entwickeln und vertreten muss, dient der Demokratie. Das Ministerium ist ja dazu da, dass der demokratisch legitimierte Minister überhaupt arbeiten kann, und zu seinem Berufsbild gehört nun mal vor allem das Reden. Aber wie weit geht das?

Wie man es auch dreht und wendet: Redenschreiben, zumal das hauptbufliche, ist eine - recht intime - Dienstleistung. Die Beteiligten müssen sich verstehen oder sich trennen. Im Einzelfall können und sollen sie auch mal miteinander streiten, aber generell gilt im gegenseitigen Interesse: Love it or leave it. Ein Anwalt, der es hasst, sich für Verbrecher einzusetzen, wird nicht Strafverteidiger, sondern Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Ein Arzt, der künstliche Befruchtung ablehnt, wird sich eine normale Geburtshilfestation suchen. Ein Redenschreiber, der Autobahnbau für unverantwortlich hält, sollte das Verkehrsministerium meiden.

Lieber Niels H., wie Sie sehen, kann ich Ihre Frage nicht beantworten. Vielleicht hilft Ihnen das. Trotzdem frohes Schaffen!

Montag, 16. Mai 2011

21. Ungehaltene Rede

Referent Olaf D. schreibt: Ich habe für meinen Chef eine Rede verfasst, aber er hat nicht einziges Mal auf das Blatt geschaut. Er hat frei gesprochen, und zwar etwas ganz anderes, als im Manuskript stand. Warum musste ich dann überhaupt einen Entwurf liefern?

Zunächst gratuliere ich Ihnen zu diesem Chef. Er beherrscht das Thema offenbar so, dass er auch ohne Manuskript reden kann. Freie Rede klingt nun einmal besser, da kann das Manuskript noch so gut sein. (Willy Brandt einmal ausgenommen, er konnte wie kein Zweiter vom Blatt ablesen und doch den Eindruck erwecken, als verfertige er den Gedanken beim Reden.)

Es sind viele Gründe denkbar, warum ihr Chef frei gesprochen hat. Vielleicht war er einfach nur besonders gut drauf. Vielleicht hat ein Vorredner etwas vorweg genommen von dem, was im Manuskript stand; oder der Vorredner hat etwas gesagt, das Ihr Chef nicht im Raum stehen lassen wollte. Oder Ihr Chef hat vor Ort gemerkt, dass der Charakter der Veranstaltung ein wenig anders war, als Sie am Schreibtisch antizipierten, und hat deswegen seine Rede spontan angepasst. Oder, oder, oder.

Lieber Olaf D., Ihre Mühe war trotzdem nicht umsonst. Sie sind nun mal kein Dramatiker und Ihr Chef ist nicht der Schauspieler, der Ihr Stück werkgetreu auf die Bühne bringt. Sie sind sein Helfer, Sie erarbeiten nach bestem Wissen und Gewissen einen Redeentwurf, und er nutzt ihn jeweils auf seine Weise - als Vortragstext, als Notfallreserve, als Instruktion, als Inspiration oder auch gar nicht.

Zurück zum konkreten Fall und warum Ihr Text nicht vorgetragen wurde. Hatte Ihr Chef vielleicht Angst, es würde ihm mit dem Manuskript so gehen wie einst dem Schweizer Bundesrat Hans-Rudolf Merz im Berner Parlament? Dann müssten Sie die Qualität Ihrer Texte überprüfen. Aber das glaube ich nicht.

In diesem Sinne - frohes Schaffen!

Montag, 9. Mai 2011

20. Observe by watching

Als der einstige Trainer der Basketball-Profis von Boston Celtics einmal nach seiner Erfolgsstrategie gefragt wurde, antwortete er: „You do observe a lot by watching.“

So ist es auch beim Schreiben. Man sieht viel, wenn man genau hinschaut: Wer Literatur verfassen will, sollte gute Literatur lesen. Wer Reden schreiben soll, tut gut daran, Reden zu lesen und zu hören. Das gute Beispiel regt an, ermutigt, beflügelt.

Wenn man bewusst schaut, wie andere mit ihrem Thema umgehen, traut man sich sich auch selbst mehr, macht sich freier von Sachzwängen, Zuständigkeitsgrenzen und Formulierungsbremsen beim Entwerfen des eigenen Redemanuskriptes.

Hier sind ein paar Quellen, von denen ich meine, dass da etwas zu holen ist nach dem Motto: We observe a lot by watching.
  • Die Reden des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau bieten sehr gute Beispiele für eine einfache, ausdrucksstarke Sprache. Raus Manuskripte muss man nur lesen, dann ist einem der Unterschied zwischen Referat und Rede schnell klar.
  • Interessant auch zu lesen, was Bundestagspräsident Norbert Lammert redet. 
  • Der Innenpolitik-Ressortleiter der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, hielt eine Laudatio auf die Bürgerinitiative "Bunt statt braun", die das Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen zu einer Rede des Jahres gekürt hat. 
  • Manchmal ist es nützlich, Reden auch zu hören. Große Rhetorik bietet das Medienbildungs-Portal des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg. Dort sind bedeutende politische Reden aus den letzten Jahrzehnten als Tondokumente  zusammengestellt. 
Hinweise auf weitere Quellen, die hervorragende, beispielhafte Reden als Text- und/oder Audiodateien bieten, sind willkommen!

    Montag, 2. Mai 2011

    19. Schreiben und Denken

    Referentin Petra M. schreibt: Ich bin für die Aktion "Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche" zuständig, wofür mein oberster Chef die Schirmherrschaft übernommen hat. Sein Büro fordert dazu einen Rede-Entwurf bei mir an. Aber es sagt wieder nicht, was da drinstehen soll. Ist das in Ordnung? 

    Liebe Petra M., ja, das ist richtig. Sie sind es, die für die Elch-Politik Ihres Hauses zuständig sind! Sie haben die Ziele mit formuliert, Sie haben das Programm mitentwickelt, um den Zielen näher zu kommen, und Sie arbeiten hart daran, es zu realisieren. Sie kennen die Erfolge, die bisher erreicht wurden. Sie wissen am besten, welche Schwierigkeiten es gibt und wie sie überwunden werden können.

    Jetzt steht also ein Termin an, bei dem Ihr Chef 15 Minuten sprechen soll, und zwar zu Ihrem Thema! Sehen Sie es als eine Chance, die von Ihnen vertretene Sache voranzubringen. Sie können die Akzente setzen in dem Manuskript. Sie können den Stoff auswählen und gewichten. Ihr Chef ist Ihr Verkäufer. Er macht sich zu eigen und bringt an den Mann, was Sie vorbereiten. Sie müssen sich nur etwas einfallen lassen, was zu ihm und zum Termin passt.

    Ein Ghostwriter ist immer auch, mehr oder weniger, Ghosthinker. Das gilt, wenn es darum geht, Altbekanntes neu zuzubereiten; es gilt erst recht, wenn zu einer neuen Frage - via Redemanuskript - eine Position entwickelt werden muss. Und in jedem Falle sollte man Arthur Schopenhauer beherzigen: "Für eine gelungene Rede gebrauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge."

    In diesem Sinne: Frohes Schaffen!