Montag, 22. August 2011

24. Reden(schreiben) und pausieren

Nun habe ich mit meiner Blog-Pause das gemacht, was beim Reden vermieden werden sollte, nämlich den Zeitrahmen zu überziehen. Das unterläuft Rednern, die sich selbst zu gerne reden hören. Ich habe meine Denkpause überzogen, weil ich mich zu gerne pausieren fühle.

Apropos: Maßvolle Pausen sind im Zusammenhang mit öffentlicher Rede in mehrfacher Hinsicht nützlich: Der Redner muss von Zeit zu Zeit eine Pause machen, weil er auf diese Weise seine Rede akustisch strukturiert: Achtung, zu diesem Punkt habe ich jetzt alles gesagt, gleich kommt etwas Neues! Pausen gliedern die Rede wie Absätze und Kapitel den Text. Wenn sich eine elegante Überleitung anbietet, wie man vom einen Abschnitt zum anderen, von diesem Aspekt zum nächsten kommt - wunderbar! Aber in einer guten Rede muss nicht sein. Der Zuhörer sollte auch so den Zusammenhang erkennen.

Übergänge, die mit dem Holzhammer gezimmert sind, können wir jeden Tag in schlechten Fernsehmoderationen hören ("Auf der A9 ist es zu einer Massenkarambolage gekommen, nachdem ein Wohnmobil in die Leitplanke gefahren war. Um eine Leitplanke ging es auch beim jüngsten deutsch-französischen Regierungstreffen, um eine Leitplanke für die europäische Währungspolitik..."). In Redemanuskripten ist so etwas zu unterlassen, und zwar ersatzlos.

Auch das Publikum braucht Pausen. Nur so kann es dem Redner folgen.  Wenn der Redner ein gewichtigen Gedanken dargelegt hat, soll er sich bei den Zuhörern setzen. Sie wollen kurz Luft holen, bevor sie sich auf den nächsten Gedanken konzentrieren. Wer aber redet wie ein Maschinengewehr, wer sein Publikum zudröhnt ohne Halt, ohne Punkt und Komma, der will  das Publikum nur beeindrucken und nicht überzeugen.

Pausen sind auch für  Redenschreiber notwendig. Wenn der Text hakt, wenn der Gedanke nicht fließen will, wenn das Blatt leer bleibt, dann hilft oft eine starke Unterbrechung. Nach dem Sport oder dem Kino sieht man klarer, ob der Ansatz in den Papierkorb gehört oder wie er zu retten ist. Längere Pausen, in schwedischen Blockhütten oder anderswo, sind von Zeit zu Zeit nötig, um über das einzelne Projekt hinaus Abstand von Themen und Methoden zu gewinnen.

Zum Beispiel: Sollte man die wirtschaftliche Lage wirklich immer anhand der Analysen der Wirtschaftsforschungsinstitute beschreiben oder gibt es - publikumsfreundliche - Alternativen? Vielleicht kann man noch einmal versuchen zu erklären, was ein Wachstum von plus zwei oder minus ein Prozent für die Menschen praktisch bedeutet? Sollte man die Erneubaren Energien vor allem anhand selbst gesetzter Planzahlen taxieren oder kann man noch besser als bisher ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Effekt darstellen? Ist es richtig, alles was sich nicht wehrt, zum Erfolg (des Redners, der Regierung, der eigenen Organisation) zu erklären? Oder ist es redlicher - und vielleicht glaubwürdiger - , durchaus  auch Probleme, Unzulänglichkeiten und Defizite zu erörtern?

Solcher Fragen gibt es viele, so dass noch ungezählte (Denk-)-Pausen ihren Stoff finden werden! Was den Guten Ghost angeht, so bloggt er erst einmal wieder weiter - allerdings nicht mehr wöchentlich, sondern gelegentlich.

Dienstag, 7. Juni 2011

23. Bei Humor hört der Spaß auf

Helmut Schmidt war ein begnadeter Redner. Schon als junger Bundestagsabgeordneter verdiente er sich mit geschliffen formulierten und scharf vorgetragenen Debattenbeiträgen den ehrenvollen Namen "Schmidt-Schnauze". Und auch als Bundeskanzler zog er die Zuhörer in seinem Bann, ob er nun zu einer großen Rede anhub oder für eine kurze, beißende Intervention das Wort ergriff. Thilo von Trotha, einer von Schmidts vier bis fünf Redenschreibern, erzählte mir einmal, dass der Kanzler spätestens auf der zweiten Seite unten eine Stelle zum Schmunzeln im Manuskript stehen haben wollte.

Humor in einer Rede erhöht die Aufmerksamkeit, und wenn es gut läuft, erleichtert er sogar das Verständnis. Ein Mittel ist das Wortspiel. Der FDP-Abgeordnete Graf Lambsdorff sprach einmal im Bundestag darüber, dass das Parlament nicht repräsentativ zusammengesetzt sei, und brachte es witzig auf den Punkt: "Das Plenum ist mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer!" Eine humorige Redewendung nimmt einer Aussage die Schärfe, ohne an Deutlichkeit zu verlieren. "Sie werden kläglich versagen, wenn es um die Schuldenbremse geht!" kann man einem konkurrierenden Politiker entgegen halten. Es klingt aber netter und mindestens so klar, wenn man beispielsweise sagt: "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, bevor Sie die Schuldenbremse einhalten!"

Wortspiele, Vergleiche, Analogien, Übertreibungen, Zitate - es gibt viele Möglichkeiten, eine Rede mit Humor zu würzen. Aber Vorsicht, beim Humor hört bekanntlich der Spaß auf! Ironie ist zum Beispiel eine gefährliche Zutat. Das Gegenteil von dem zu sagen, was man meint, und dennoch richtig verstanden zu werden, ist in der öffentlichen Rede riskant. Ironie kommt nur bei denen an, die einen Sinn dafür haben. Sie wird nur von denen verstanden, die sie decodieren können. Und wenn man als Redner dabei nachhilft, wird es leicht zu platt. Anders ist es bei Selbstironie: Das Publikum freut sich, wenn der Redner sich selbst auf den Arm nimmt, aber es sollte nicht selbstverliebt, eitel oder egozentrisch wirken.

Einen großen Bogen sollten Redenschreiber um Witze machen. Kaum etwas bei einem öffentlichen Auftritt ist so peinlich wie eine Pointe, die nicht zündet. Aber auch der beste Witz hat keine Zünd-Garantie, denn das Publikum kann abgelenkt, schlecht gelaunt oder einfach nur schwer von kapeè sein. Der Redner kann sich veratmen, falsch betonen oder es sonstwie schlecht rüberbringen. Im Übrigen besteht bei Witzen, die wirklich witzig sind, fast immer erhöhte Fettnäpfchengefahr. Wenn man einen guten und passenden Witz hat, kann man ihn dem Redner zum Manuskript beifügen, und er setzt ihn ein, wenn die Situation danach ist - d.h. vor allem, es ist ein gute Verbindung zwischen Redner und Publikum hergestellt, es herrscht eine freundliche Atmosphäre, die Zuhörer sind bereit, dem Redner ein Lachen zu schenken.

Ich selbst baue schon mal einen Witz in ein Redemanuskript ein, wenn es dem Zusammenhang dient, die Aussage klar und einschlägig ist und wenn das Publikum gut dabei wegkommt. In seiner ersten Rede vor den versammelten Verkehrsingenieuren seines Beritts erzählte der Verkehrsminister den Witz von den Managern, die bei einem Führungsseminar die Höhe eines Mastes ermitteln sollen und dabei kläglich scheitern. Dann kommen ein paar Ingenieure vorbei. Sie legen den Mast flach und messen ihn mit dem Bandmaß aus. Sagt ein Manager zum anderen: „Typisch Ingenieur! Wir wollen herauskriegen, wie hoch der Mast ist, und die sagen uns, wie lang er ist.“ Der Witz funktionierte in der Rede, denn der Minister nahm ihn als Vergleich dafür, wie verschieden die Sichtweisen auf ein Thema sein können.

Zu den genannte Gefahren von Ironie und Witz kommt noch eine weitere, seit sich Journalisten immer weniger Zeit zum Verstehen und zur treffenden Zusammenfassung nehmen und Medien immer schneller berichten, oft ohne Rücksicht auf den Zusammenhang und Nuancen. Nehmen wir einen Witz zur Hilfe: Helmut Kohl auf seiner ersten Reise nach New York. Berater warnen ihn vor raffinierten amerikanischen Journalisten. Kohl winkt ab: 'Die legen mich nicht rein'. JFK-Airport: Journalisten stürzen sich auf ihn. Einer fragt: 'Werden Sie in New York Striptease-Bars besuchen?' Kohl überlegt und meint süffisant: 'Gibt es hier Striptease-Bars?' - Schlagzeile am nächsten Tag: Erste Frage Kohls nach Ankunft in N.Y.: Gibt es hier Striptease-Bars? "

Montag, 30. Mai 2011

22. Love it or leave it

Niels H. schreibt: Was mache ich, wenn ich eine Rede schreiben soll, die nicht meiner Meinung entspricht? Ich kann doch nicht gegen meine Überzeugung schreiben!

Lieber Niels H., ich kenne das Problem gut. Ich habe Reden gegen einen gesetzlichen Mindestlohn geschrieben, obwohl ich ihn für notwendig halte. Ich habe in Redeentwürfen für die Atomkraft als "Brückentechnologie" argumentiert, obwohl ich schon immer dachte: So schnell wie möglich weg damit, und selbst dann haben wir noch tausende von Jahren ein Riesenproblem am Hals.

Wo ist die Grenze? Ich fürchte, es gibt keine Demarkationslinie - diesseits ist man noch ein Dienstleister, der seinen Job erledigt, und jenseits ist man der Opportunist oder Feigling, der die eigene Überzeugung verrät. In anderen Berufen stellen sich ähnliche Grenzfragen. Der Anwalt zum Beispiel, der einen Mörder verteidigt, vertritt vor Gericht mit größtmöglicher Plausibilität den Täter besser, als der es selbst könnte, und relativiert als Anwalt eine Tat, die er als Person verabscheut. Ist es beim Redenschreiber nicht ähnlich? Auch er versetzt sich in die Lage eines anderen und vertritt dessen Position, im besten Falle mit einer Stringenz in der Sache und mit einer Eleganz in der Form, die die Möglichkeiten des Redner noch übertreffen.

Aber es gibt einen Unterschied: Der Strafverteidiger übt sein Handwerk ausschließlich zu einem höheren Zweck aus, er dient nicht dem Mörder, sondern der Rechtspflege. Kann oder muss das der Redenschreiber auch von sich sagen? Der Ministeriumsmitarbeiter, der als Person für den sofortigen Atomausstieg ist und als energiepolitischer Referent die "Brücken"-Position seines Ministers entwickeln und vertreten muss, dient der Demokratie. Das Ministerium ist ja dazu da, dass der demokratisch legitimierte Minister überhaupt arbeiten kann, und zu seinem Berufsbild gehört nun mal vor allem das Reden. Aber wie weit geht das?

Wie man es auch dreht und wendet: Redenschreiben, zumal das hauptbufliche, ist eine - recht intime - Dienstleistung. Die Beteiligten müssen sich verstehen oder sich trennen. Im Einzelfall können und sollen sie auch mal miteinander streiten, aber generell gilt im gegenseitigen Interesse: Love it or leave it. Ein Anwalt, der es hasst, sich für Verbrecher einzusetzen, wird nicht Strafverteidiger, sondern Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Ein Arzt, der künstliche Befruchtung ablehnt, wird sich eine normale Geburtshilfestation suchen. Ein Redenschreiber, der Autobahnbau für unverantwortlich hält, sollte das Verkehrsministerium meiden.

Lieber Niels H., wie Sie sehen, kann ich Ihre Frage nicht beantworten. Vielleicht hilft Ihnen das. Trotzdem frohes Schaffen!

Montag, 16. Mai 2011

21. Ungehaltene Rede

Referent Olaf D. schreibt: Ich habe für meinen Chef eine Rede verfasst, aber er hat nicht einziges Mal auf das Blatt geschaut. Er hat frei gesprochen, und zwar etwas ganz anderes, als im Manuskript stand. Warum musste ich dann überhaupt einen Entwurf liefern?

Zunächst gratuliere ich Ihnen zu diesem Chef. Er beherrscht das Thema offenbar so, dass er auch ohne Manuskript reden kann. Freie Rede klingt nun einmal besser, da kann das Manuskript noch so gut sein. (Willy Brandt einmal ausgenommen, er konnte wie kein Zweiter vom Blatt ablesen und doch den Eindruck erwecken, als verfertige er den Gedanken beim Reden.)

Es sind viele Gründe denkbar, warum ihr Chef frei gesprochen hat. Vielleicht war er einfach nur besonders gut drauf. Vielleicht hat ein Vorredner etwas vorweg genommen von dem, was im Manuskript stand; oder der Vorredner hat etwas gesagt, das Ihr Chef nicht im Raum stehen lassen wollte. Oder Ihr Chef hat vor Ort gemerkt, dass der Charakter der Veranstaltung ein wenig anders war, als Sie am Schreibtisch antizipierten, und hat deswegen seine Rede spontan angepasst. Oder, oder, oder.

Lieber Olaf D., Ihre Mühe war trotzdem nicht umsonst. Sie sind nun mal kein Dramatiker und Ihr Chef ist nicht der Schauspieler, der Ihr Stück werkgetreu auf die Bühne bringt. Sie sind sein Helfer, Sie erarbeiten nach bestem Wissen und Gewissen einen Redeentwurf, und er nutzt ihn jeweils auf seine Weise - als Vortragstext, als Notfallreserve, als Instruktion, als Inspiration oder auch gar nicht.

Zurück zum konkreten Fall und warum Ihr Text nicht vorgetragen wurde. Hatte Ihr Chef vielleicht Angst, es würde ihm mit dem Manuskript so gehen wie einst dem Schweizer Bundesrat Hans-Rudolf Merz im Berner Parlament? Dann müssten Sie die Qualität Ihrer Texte überprüfen. Aber das glaube ich nicht.

In diesem Sinne - frohes Schaffen!

Montag, 9. Mai 2011

20. Observe by watching

Als der einstige Trainer der Basketball-Profis von Boston Celtics einmal nach seiner Erfolgsstrategie gefragt wurde, antwortete er: „You do observe a lot by watching.“

So ist es auch beim Schreiben. Man sieht viel, wenn man genau hinschaut: Wer Literatur verfassen will, sollte gute Literatur lesen. Wer Reden schreiben soll, tut gut daran, Reden zu lesen und zu hören. Das gute Beispiel regt an, ermutigt, beflügelt.

Wenn man bewusst schaut, wie andere mit ihrem Thema umgehen, traut man sich sich auch selbst mehr, macht sich freier von Sachzwängen, Zuständigkeitsgrenzen und Formulierungsbremsen beim Entwerfen des eigenen Redemanuskriptes.

Hier sind ein paar Quellen, von denen ich meine, dass da etwas zu holen ist nach dem Motto: We observe a lot by watching.
  • Die Reden des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau bieten sehr gute Beispiele für eine einfache, ausdrucksstarke Sprache. Raus Manuskripte muss man nur lesen, dann ist einem der Unterschied zwischen Referat und Rede schnell klar.
  • Interessant auch zu lesen, was Bundestagspräsident Norbert Lammert redet. 
  • Der Innenpolitik-Ressortleiter der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, hielt eine Laudatio auf die Bürgerinitiative "Bunt statt braun", die das Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen zu einer Rede des Jahres gekürt hat. 
  • Manchmal ist es nützlich, Reden auch zu hören. Große Rhetorik bietet das Medienbildungs-Portal des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg. Dort sind bedeutende politische Reden aus den letzten Jahrzehnten als Tondokumente  zusammengestellt. 
Hinweise auf weitere Quellen, die hervorragende, beispielhafte Reden als Text- und/oder Audiodateien bieten, sind willkommen!

    Montag, 2. Mai 2011

    19. Schreiben und Denken

    Referentin Petra M. schreibt: Ich bin für die Aktion "Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche" zuständig, wofür mein oberster Chef die Schirmherrschaft übernommen hat. Sein Büro fordert dazu einen Rede-Entwurf bei mir an. Aber es sagt wieder nicht, was da drinstehen soll. Ist das in Ordnung? 

    Liebe Petra M., ja, das ist richtig. Sie sind es, die für die Elch-Politik Ihres Hauses zuständig sind! Sie haben die Ziele mit formuliert, Sie haben das Programm mitentwickelt, um den Zielen näher zu kommen, und Sie arbeiten hart daran, es zu realisieren. Sie kennen die Erfolge, die bisher erreicht wurden. Sie wissen am besten, welche Schwierigkeiten es gibt und wie sie überwunden werden können.

    Jetzt steht also ein Termin an, bei dem Ihr Chef 15 Minuten sprechen soll, und zwar zu Ihrem Thema! Sehen Sie es als eine Chance, die von Ihnen vertretene Sache voranzubringen. Sie können die Akzente setzen in dem Manuskript. Sie können den Stoff auswählen und gewichten. Ihr Chef ist Ihr Verkäufer. Er macht sich zu eigen und bringt an den Mann, was Sie vorbereiten. Sie müssen sich nur etwas einfallen lassen, was zu ihm und zum Termin passt.

    Ein Ghostwriter ist immer auch, mehr oder weniger, Ghosthinker. Das gilt, wenn es darum geht, Altbekanntes neu zuzubereiten; es gilt erst recht, wenn zu einer neuen Frage - via Redemanuskript - eine Position entwickelt werden muss. Und in jedem Falle sollte man Arthur Schopenhauer beherzigen: "Für eine gelungene Rede gebrauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge."

    In diesem Sinne: Frohes Schaffen!

    Montag, 25. April 2011

    18. Blitz und Glühwürmchen

    Die Wörter, die auf "ung" enden, haben wir schon in Folge 11(siehe Archiv, linke Spalte) ausgemerzt. Apropos "ausmerzen": Jeder Text, erst recht eine Rede, wird umso stärker, je treffender man die Wörter wählt. Ausmerzen stammt aus der Schafzucht des 16.Jahrhunderts: Im März sortiert man die Tiere aus, die zur weiteren Zucht ungeeignet sind. Ein Schaf mit schiefen Kiefern oder zu wenig Muskeln wird ausgemerzt, damit es nicht seine Mängel reproduziert. Deswegen sollten wir die "ung"-Wörter nicht nur streichen, löschen oder entfernen, sondern ausmerzen. Dann sind sie ein für alle Mal vernichtet.

    Treffend oder nicht - diese Frage lohnt bei Phrasen und Bildern, die wir täglich in Reden vorkommen. Da legen wir Finger in Wunden, dass den Hygieniefachkräften schlecht wird. Dabei geht das Sprachbild auf den ungläubigen Thomas (Johannes 20, 24 - 29) zurück, der an Jesu Auferstehung nur glauben wollte, wenn er seinen Finger in die Nägelmale des Gekreuzigten legen könnte. Den Finger in die Wunde legen bedeutet also, sich unwiderlegbar zu vergewissern. Benutzt wird es aber in einem ganz anderen Sinne, nämlich auf einen Fehler oder Mangel aufmerksam zu machen. Wer das will, sollte eher Salz in die Wunde reiben.

    Mark Twain sagte: "Der Unterschied zwischen dem richtigen und einem beinahe richtigen Wort ist derselbe wie der zwischen dem Blitz und einem Glühwürmchen." Täglich begegnen uns Floskeln und Bilder, die nicht Blitze sind, sondern Glühwürmchen, und viele sogar bei Tage. So ein hässliches Würmchen ist der Vorreiter. Er hat in unserer Sprache überlebt, obwohl die Kavallerie längst abgeschafft ist. Dabei meinen wir gar nicht den berittenen Soldaten, der auf Befehl seines Leutnants voraus reitet, um einen Weg auszuprobieren oder weiter vorn Quartier zu machen, oder der voran reitet, um einem Gespann Platz zu schaffen. Was wir meinen, ist zum Beispiel ein Bundesland, das neue Wege geht und dabei so viel Erfolg hat, dass andere ihm folgen.

    Wenn wir gerade nicht Vorreiter sind, dann stellen wir Weichen und geben grünes Licht. Wir setzen etwas um, obwohl es sich weder um einen Schüler noch um einen Beamten noch um einen Baum handelt. Wir drücken auf die Tube, obwohl wir uns die Zähne schon morgens geputzt haben. Wir bringen etwas auf den Weg, aber kommt es auch ans Ziel? Wir verlassen die Talsohle, es geht wieder bergauf, aber wollen wir wirklich da hoch? Wer den Berg besteigt, macht sich viel Mühe; aber muss er nicht wieder herunter ins Tal? Wir sagen, die Schere öffnet sich, wenn zum Beispiel die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen größer wird. Die Kluft soll sich nicht öffnen, aber eine Schere muss, sonst kann sie nicht schneiden.

    Schreibdozenten raten, sich genau vorzustellen, was man da gerade schreibt. Es hilft dabei, treffend zu formulieren und Sprachgebilde zu vermeiden, die nur beinahe richtig oder aber sogar ganz falsch sind. Nun höre ich schon die Einwände: Das machen doch alle so! Und: Weiß doch jeder, was gemeint ist!  Ich halte das Alte Testament dagegen, Exodus 23,2: "Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist."

    Montag, 18. April 2011

    17. Ortsumgehung, die Zweite...

    Referent Rainer M. schreibt: Ich bin für Straßenbau zuständig. Jedes neue Projekte wird mindestens zweimal gefeiert: erster Spatenstich und dann irgendwann die Inbetriebnahme. Jedesmal werden Reden gehalten, und ich muss sie schreiben. Was kann man da machen?

    Lieber Rainer M., Sie tun mir leid. Zweimal dasselbe Projekt, zweimal dasselbe Publikum, zweimal derselbe Redner, aber zwei verschiedene Reden, das ist das Fegefeuer des Redenschreibers! (Die Hölle ist, für die Heringstage in der Stadt K. zum wiederholten Male die lustige Eröffnungsrede des Ehrengastes zu entwerfen.)

    Aber da müssen wir nun einmal durch. Was also kann beim ersten Spatenstich gesagt werden? Die geladenen Gäste wissen ja, worum es geht. Also darf man sich nicht lange dabei aufhalten, dass nun der Ort A mit dem Ort B neu verbunden oder das Dorfzentrum C künftig umfahren wird. Spatenstiche sind symbolische Ereignisse, die bewusst machen sollen: Wir stehen am Beginn einer Veränderung. Daraus lässt sich vielleicht der Honig für das Grußwort saugen: Wie lange ist der Bedarf schon artikuliert? Gab es vielleicht schon Vorläuferprojekte, die verworfen worden sind? Was hat sich verändert, dass es nun doch realisiert wird?

    Ich würde versuchen, das Thema in Sphären einzuteilen: Der erste Spatenstich markiert das Ende einer Periode des Träumens, des Wünschens, des (solange vergeblichen) Forderns derer, denen das Vorhaben zugute kommt. Das könnte die Perspektive sein, aus dem der Redeinhalt herzuleiten ist.

    Die Inbetriebnahme ist der Moment, wo die Veränderung Wirklichkeit wird. Sie markiert den tatsächlichen Anfang des Neuen. Hier könnte sich der Blick nach vorne richten: Wo ist die Wirkung? Wie ist der Nutzen? Wer muss dafür möglicherweise Nachteile in Kauf nehmen?

    Zugegeben, das klingt sehr abstrakt. Aber man braucht die abstrakten Gedanken, um den Stoff zu entwickeln und zu sortieren. Mit Kubikmeterangaben über ausgehobenen Boden oder eingebrachten Beton kann der Zuhörer jedenfalls wenig anfangen, es sei denn, er ist auch ein Ingenieur. Von öffentlich-föderaler Finanzierungsakrobatik möchte er verschont bleiben bei einem so erfreulichen Anlass. Und die planungsrechtlichen Trippelschritte, die voraus gegangen sind, verstehen nur diejenigen, die sie selbst vollzogen haben.

    Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt, wie Ihnen diese meine Antwort helfen soll. Es ist nur ein einziger Punkt: Durchdenken Sie konkret, worum es bei dem Redeanlass geht, und lassen Sie von dort aus die Gedanken schweifen.

    In diesem Sinne: Frohes Schaffen!

    PS: Kleiner Trost: Die Kollegen mit den Hochbauprojekten haben zwischen Grundsteinlegung und Eröffnung auch noch das Richtfest...

    Montag, 11. April 2011

    16. Der Küchenzuruf

    Kommt einer zu spät zur Veranstaltung und fragt: "Worüber hat denn der Minister gesprochen?" Antwort: "Das hat er nicht gesagt."

    So soll es nicht sein. Aber es kann passieren, wenn bei der Vorbereitung die wichtigste Frage nicht beantwortet oder gar nicht erst gestellt wird: Was soll der Redner eigentlich sagen? Damit meine ich nicht: Wie soll er die Rede hinter sich bringen? Ich meine: Welche Botschaft soll er verkünden?

    Das klingt eigentlich selbstverständlich. Kann man eine Rede denn überhaupt schreiben, solange die Quintessenz nicht feststeht? Nichts leichter als das! Für eine ziellose Rede füllt sich das Manuskript fast wie von selbst. Man hat ja Stoff in Hülle und Fülle, solange die Rede nicht auf eine bestimmte Aussage zuläuft.

    Nehmen wir eine Rede zum Thema Aus- und Weiterbildung. Man kann alles verwursten, was man dazu weiß oder was die Textbausteine hergeben; man kann sich aber auch für eine Botschaft entscheiden: Aktive Berufsausbildung lohnt sich für die Betriebe! Oder: Aktive Berufsausbildung ist eine Bringschuld der Unternehmen! Oder: Berufsausbildung ist ein Dienst an der Gesellschaft!

    Es gibt unzählige Möglichkeiten. Man wählt die geeignete Botschaft danach aus, welchen Charakters der Anlass ist, wer zuhören wird und welchen Hintergrund, welches Profil und welche Ziele der Redner hat. Bei der Preisverleihung für beste Ausbildungsbetriebe sollte eher über den Wert des Ausbildungsengagements von Unternehmen geredet werden. Dass es ihre verdammte Pflicht sei und dass zu wenige Unternehmen ihr nachkommen, passte besser auf eine Fachkonferenz der IHK.

    Nur wenn es eine Botschaft gibt, ergibt sich auch eine Logik, eine Argumentation, eine angemessene Stoffauswahl für die Rede. Nur wenn eine Botschaft herausgearbeitet wird, bleibt von der Rede etwas hängen. Henri Nannen, der Gründer des "stern", verlangte genau das von einer guten Magazin-Geschichte. Einer liest sie und wird in der Küche von seinem Partner gefragt, was da drinstehe, muss ihm der eine, treffenden Satz auf den Lippen liegen, der die Sache auf den Punkt bringt. Nannen nannte das den Küchenzuruf.

    So sollte es auch bei einer gelungenen Rede sein: Eine Zuhörerin kommt nach Hause, in der Küche fragt der Gatte: "Schatz, was hat der Minister denn gesagt?" Und sie antwortet: "Die müssen mehr tun für die Ausbildung, Fachkräfte werden knapp."

    Montag, 4. April 2011

    15. Bedenke das Ende!

    Wenn der römische Politiker Cato im Senat sprach, endete er stets mit demselben Satz: "Ceterum censeo Carthaginem esse delendam - Im Übrigen meine ich, dass Cathargo zerstört werden sollte." Das wäre so, wie wenn der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister jede Rede im Kieler Landtag mit dem Satz beschlösse: "Im Übrigen weise ich daraufhin, dass die Schuldenbremse beachtet werden muss."

    Wer nicht Cato oder Maybritt Illner ("Bleiben Sie heiter, irgendwie!") heißt, muss ohne eine standardisierte Schlussformel auskommen. Der Schluss einer Rede ist aber wichtig, weil er den Eindruck prägt, den der Redner hinterlässt. Ähnlich wie am Anfang ist die Aufmerksamkeit des Zuhörers am Ende besonders groß - egal ob er es aus Langeweile herbeisehnt oder ob er es fürchtet, weil er vom Redner und seinem fesselnden Stoff gar nicht genug bekommen kann.

    Der Schluss rundet den Spannungsbogen einer Rede ab. Der Redner ist ja kein Lehrer, der am Ende der Unterrichtsstunde aus vollem Lauf auf Null bremst und seinen Schülern sagen kann: "In de nächsten Stunde fahren wir fort!" Eine Rede ist auch kein Stück Fortsetzungsroman, wo der Cliffhanger seinen Platz hat: Das Ende kommt plötzlich, wenn es gerade besonders heiß hergeht: Die Eine Rede muss eine Statik haben, sonst kommt sie aus dem Gleichgewicht wie ein falsch beladenes Fuhrwerk. Und die Statik sollte der Zuhörer spüren können: Jetzt nimmt der Redner Anlauf; jetzt ist er mittendrin; jetzt geht er auf das Ende zu!

    Bei einem längeren Vortrag bietet sich an, zum Schluss die wichtigsten Punkte noch einmal kurz und einprägsam zusammen zu fassen ("Halten wir noch einmal die drei wichtigsten Punkte fest..."). Ein Grußwort endet passabel mit guten, möglichst konkreten Wünschen ("Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Jubiläumstag und vor allem bald wieder bessere Umsätze..."). Eine Führungs- oder Motivationsrede könnte mit einem Appell abschließen ("Das Wichtigste ist jetzt, dass jeder..."). Ein harter, womöglich strittiger Inhalt lässt sich mit einem besinnlichen, übergreifenden Gedanken versöhnlich abrunden ("Jetzt habe ich ausführlich dargestellt, was uns trennt. Es gibt aber auch Verbindendes..."), ein trockener Stoff mit einem Witz. (Zu Chancen und Risiken des Witzes in der Rede bei anderer Gelegenheit mehr!)

    Es gibt tausend Möglichkeiten, einer Rede passend zu schließen. Ein Patentrezept gibt es leider nicht. Das Wichtigste ist, dass die Rede überhaupt einen deutlichen Schluss hat und sich nicht einfach so davon schleicht. Auch für das Redenschreiben ist auf das Alte Testament, Buch Jesus Sirach 7,36 zu verweisen: "Was du auch tust, bedenke das Ende."

    Montag, 28. März 2011

    14. Gefährliche Wahrheiten

    Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat im Präsidium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) etwas gesagt, was er auf keinen Fall gesagt haben darf. Es kostete den BDI-Hauptgeschäftsführer den Kopf, weil ihm eine besondere Art von Protokollversehen angelastet wird, nämlich dass die Nichtworte des Ministers im Protokoll auftauchten.

    Nun wird wohl kein Redenschreiber auf die Idee kommen, etwas aufzuschreiben, was so wahr ist, dass es auf keinen Fall ausgesprochen werden darf. In der Regel wird er solche Wahrheiten nicht einmal selbst kennen. Gleichwohl stellt sich auch für die, die Redetexte für ihre Chefs zu formulieren haben, die Frage: Wie halten wir es mit der Wahrheit?

    Eine einfache Regel hat der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt aufgestellt, als er das Informationsverhalten der japanischen Regierung zur Atomkatastrophe von Fukushima kommentieren sollte. Schmidt sagte, auf Voltaire gestützt : "Eine Regierung muss nicht alles sagen, was wahr ist. Aber was sie sagt, muss wahr sein." Öffentliche Amtsträger dürften gut damit fahren, wenn sie - und ihre Redenschreiber - sich daran halten.

    Glaubwürdigkeit wird allerdings nicht nur durch Unwahrheit oder gar Lüge riskiert. Man kann sie auch durch Heuchelei gefährden - etwa wenn ein Chef auf der Betriebsversammlung die Belegschaft über den grünen Klee lobt, während er im Alltag nur Unzufriedenheit zeigt. Man kann die Glaubwürdigkeit auch durch Unwahrhaftigkeit strapazieren. Ein Mitleid erweckendes Beispiel dafür boten die Redner im Bundestag, als sie im Februar 2011 einen Minister in Schutz nahmen, dessen Dissertation auf 75 Prozent der Seiten Plagiate enthält, und zwar ganz ohne Absicht des Verfassers.

    Es hat auch schon Landesminister gegeben, die Statistiken solange hin- und herrechnen ließen, bis sich unter irgend einem Nebengesichtspunkt doch noch ein vorderer Platz ergab. Aber zu schönen, zu übertreiben, zu hoch zu greifen, verfehlt meist seinen Zweck: Die Zuhörer merken es, wenn ihnen ein X für ein U vorgemacht werden soll. Da kommt der Redner, zumal der politische Redner wesentlich weiter, der ein Problem ein Problem nennt und dann noch einen Lösungsansatz mitliefert.

    Dabei muss man gar nicht soweit gehen wie Max Frisch, der sagte: "Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand."

    Dienstag, 22. März 2011

    13. Same procedure as every year?

    Sachbearbeiter Markus G. fragt: Ich soll meinem Chef eine Festansprache schreiben, die er auf einer jährlichen Veranstaltung halten will. Im letzten Jahr musste ich zum selben Anlass einem anderen Vorgesetzten die Rede schreiben. Kann ich den alten Text wiederverwenden?

    Ja, das müssen Sie sogar - aber nur zum Zwecke des Vergleichs: Sie müssen nämlich sicherstellen, dass kein Satz vom letzten Mal im neuen Manuskript wieder vorkommt. Eine Festansprache, etwa bei der Verleihung eines Jahrespreises, ist keine Lesung wie im Gottesdienst, wo der Text seit Jahrhunderten feststeht und der Lektor nach Dienstplan wechselt.

    Sehr geehrter Markus G., die Festansprache, die Sie schreiben müssen, kommt eher einer Predigt gleich: Der Anlass steht fest, das Publikum ist wie immer, aber der Predigttext - der muss das Thema jedesmal wieder anders darstellen. Es wäre keine gute Idee, wenn Sie meinen, man könnte den Text beibehalten, wenn doch der Prediger wechselt.

    Ihr Chef macht sich lächerlich, wenn er die Rede vorträgt, die jemand anderes schon beim letzten Mal gehalten hat. Spätestens beim fragwürdigen Spruch (Beispiel aus der Praxis: "Mit 16 baust du noch Mist, mit 20 eine Hochseeyacht") wird sich jemand an das vorige Jahr erinnern. Eine böse Falle, und Sie hätten sie aufgestellt. Wenn der Chef das merkt, wird er nicht erfreut sein. Same procedure as every year? Das sollten Redner und ihre Redenschreiber unbedingt vermeiden.

    In diesem Sinne: Frohes Schaffen!

    Montag, 14. März 2011

    12. Bitte recht freundlich

    Als der Verfassungsrechtler Ingo von Münch ein paar Jahr in der Politik gearbeitet hatte, als Wissenschaftssenator und Zweiter Bürgermeister in Hamburg, da fiel ihm dieses auf: "In Deutschland gehen mehr Arbeitsstunden durch Grußworte verloren als durch Streiks." Keiner weiß, ob das stimmt. Ob aber ein Grußwort den Zuhörern wirklich nur die Zeit raubt, hängt - unter anderem - vom Manuskript ab.

    Was ist ein Grußwort? Es ist kein Vortrag, der ein vorgegebenes Sachthema ausführlich darbietet. Ein Grußwort ist keine Rede, mit der der Redner sein Publikum überzeugen, beruhigen, motivieren oder sonstwie beeinflussen will. Es ist auch keine Ansprache, in der man einen gegebenen Anlass – ob Volkstrauertag, Meisterfeier des Maurerhandwerks oder Jubiläum des Yachtclubs von 1848 – aufnimmt und eine Haltung dazu entwickelt. Ein Grußwort ist erst recht kein Diskussionsbeitrag, kein Plädoyer und schon gar nicht eine Kritik.

    Der Zweck des Grußwortes ist, wie der Name sagt, das Grüßen. Nach psychologischem Verständnis soll der Gruß Aggressionen verhindern. Jeder weiß, wie es wirkt, wenn der Gruß verweigert wird. Mit dem Gruß zeigt man, wie man zum Gegrüßten steht. Und genau das ist auch die Funktion des Grußwortes, zu dem etwa ein Minister des Gastlandes auf eine Tagung eingeladen wird.

    Daraus lassen sich ein paar Regeln ableiten, wie ein Grußwort angelegt werden sollte:
    • Es muss freundlich und höflich sein; sonst hätte man die Einladung ablehnen sollen.
    • Die zu Grüßenden, also die Tagungsteilnehmer bzw. der Veranstalter, gehören in den Mittelpunkt.
    • Im Grußwort soll ihr Anliegen, ihre Profession, ihr Thema gewürdigt werden. Der Redner soll beschreiben, wie er es sieht, wie es ihn betrifft, was er daran wichtig findet.
    • Ein Grußwort bei einer Geothermie-Tagung sollte also nicht im Wesentlichen von der Windenergie handeln, nur weil sie wichtiger ist.

    De mortuis nihil nisi bene, sagten die Lateiner. Dieses Motto sollte nicht nur gegenüber den Toten gelten, sondern auch gegenüber allen Lebenden, an die sich ein Grußwort richtet: Man sage über sie nichts außer auf gute Weise. Wenn man nichts Positives zu sagen hat, schweigt man entweder, oder aber man sagt Kritisches, dann aber ebenfalls "bene" - also fair und freundlich.

    Die Kulturgeschichte kennt viele Grußrituale. Den Kniefall, die Umarmung, die Hand an der Militärmütze. Ich stelle mir einen Herrn vor, wie er seinen Hut zum Gruß zieht und mit ihm winkt – respektvoll, aber souverän. Das ist die richtige Haltung, und dann finde ich auch die geeigneten Sätze und den passenden Ton.

    Montag, 7. März 2011

    11. Kleines Streichkonzert

    Es gibt viele Gründe, wenn ein Redetext kein großer Wurf wird. Es kann am Thema, am Anlass, am Zweck liegen, auch an der Tagesform des Verfassers. Wenn der Redenschreiber damals schlecht drauf gewesen wäre, könnte John F. Kennedy heute nicht immer wieder mit diesem Appel an den Bürger zitiert werden: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann; frage, was du für dein Land tun kannst."

    Aber es gibt ein paar kleine Regeln, wie man jeden Text, erst recht jeden Redetext, besser machen kann. Ein Tipp ist: Dezimieren Sie Wörter, die auf "ung" enden! Die Erfahrung zeigt, dass die Vermeidung dieser Wortbildungen mit "ung" eine besondere Bemühung erfordert, denn ihre Verwendung entspricht einer weit verbreiteten, eher unbewussten Übung. So also nicht. Besser: Wörter mit "ung" benutzt man unversehens, also aufgepasst!

    In einem Text heißt es: "Ich habe die Weisung erteilt, dass die Ausschreibung aufgehoben wird, weil alle Bewerbungen den Bedingungen nicht entsprachen." Man kann stattdessen formulieren: "Ich habe die Behörde angewiesen, die Ausschreibung aufzuheben. Denn alle Bewerber erfüllen nicht, was verlangt ist."

    Jedes "ung" weniger macht einen Redetext lebendiger und meistens auch konkreter. Er lebt noch mehr auf, wenn man ihn auch noch um ein paar Adjektive erleichtert. Es muss nicht der "zentrale Focus" sein, in dem etwas steht; der Focus ohne Zusatz reicht nicht nur, er ist auch stärker. Aber es geht nicht nur um Adjektive. Auch andere Beiwörter müssen ihre Funktion schon auf den ersten Blick nachweisen, sonst haben sie keine: "Eine unserer Hauptforderungen, auf die wir besonderes Augenmerk lenken" - so etwas ist ein Tummelplatz des Quallenfetts, und Quallenfett ist der Inbegriff des Überflüssigen.

    Harald Martenstein schrieb kürzlich im Zeit Magazin an einen Bild-Kolumnisten, der auch Gossen-Goethe genannt wird: "Lieber Franz Josef Wagner, beim Schreiben, haben Sie einmal gesagt, musst du ein zärtlicher Wolf sein. Oder auch: Jeder Satz ist ein Fisch. Den musst du filetieren. Erst müssen die Gräten raus, dann der Schmodder. Du musst den puren, rohen Satz schaffen, totale Verknappung, bei gleichzeitiger Poesie."

    Beim Satz in der Rede muss die Poesie nicht unbedingt sein. Aber der Schmodder muss weg.

    Montag, 28. Februar 2011

    10. Yes we can!

    Mark Twain berichtet in seinem Essay "Die schreckliche deutsche Sprache" von einem Patienten, der im Krankenhaus starb, als die Ärzte ihm ein dreizehnsilbiges Wort heraus operieren wollten. Manche deutsche Wörter, so Twain, seien so lang, "dass man sie nur aus der Ferne sehen kann". Er nennt unter anderem das Beispiel Stadtverordnetenversammlung und stellt fest: "Dies sind keine Wörter, es sind Umzüge sämtlicher Buchstaben des Alphabets."

    Solche Prozessionen sind nicht nur für Menschen schwierig, die sich mit Deutsch als Fremdsprache plagen wie einst Mark Twain. Sie sind auch für uns mühsam, und in guten Reden sind sie Gift. Im Protokoll eines norddeutschen Landtages finden wir schon auf den ersten Seiten jede Menge solcher Buchstaben-Umzüge. Das fängt mit Teilhabebeschränkungen und Handlungsmöglichkeiten an; da ist die Rede von Effektivitätssteigerungsvorschlägen und von der Armutsgefährdungsquote; es geht um Ökologisierungskomponenten, um Treibhausgaseemissionen und um Wettbewerbsbenachteiligungen.

    Bei solchen Gebilden haben es Redner und Zuhörer gleichermaßen schwer. Zu lange Wörter sollten in einem Redetext aufgelöst werden. Wie das geht, hängt sehr vom Zusammenhang ab, aber irgendwie geht es immer. Man kann ein Wortungetüm in mehrere Wörter zerteilen, also "Beschränkung der Teilhabe" statt "Teilhabebeschränkung". Man kann das zu lange Wort durch einen Satz ersetzen: Statt "Handlungsmöglichkeiten" stünde da die rhetorische Frage: "Was können wir/sie tun?" Statt "Effektivitätssteigerungsvorschläge" die Formulierung: "XY hat vorgeschlagen, wie die Effektivität gesteigert werden kann. Diese Vorschläge greifen wir auf..."

    Nun wimmelt es gerade in der Welt von Politik und Verwaltung von Fachbegriffen, und die kommen - siehe oben - gerne als Bandwurmwörter daher. Aber auch hier gilt: Kürzer ist besser, nichts steht unter Schutz. Dem Fachmann ist einst nur kein besseres Wort eingefallen. Wenn ein ungetümer Fachbegriff trotzdem unbedingt vorkommen muss, dann deklariert man ihn entsprechend und baut ihn zusätzlich ein ("Im Fachjargon heißt das...").

    Kürzere Wörter werden besser verstanden und bleiben besser haften. Am stärksten sind einsilbige Wörter. Dank an Thomas Maess für Hinweise dazu und an Barack Obama, der Kurzwortsuchern Beispiel und Ansporn zugleich gibt: Yes we can!

    Montag, 21. Februar 2011

    9. Mein und Dein der Gedanken

    Eine Rede ist keine Dissertation, ein Redner ist kein Doktorand, ein guter Ghost kein unerlaubter Helfer, und Anführungszeichen lassen sich ohnehin schlecht mitsprechen. Was also hat das Redenschreiben mit dem Fall Guttenberg zu tun? Auch jenseits der  akademischen Welt, auch beim zu sprechenden Wort, muss das Mein und Dein der Gedanken beachtet werden, jedenfalls wenn ein öffentlicher Amts- oder Funktionsträger spricht und nicht der Nachbar auf dem Gartenfest.

    Wenn man etwas Sachkundiges zur Konjunktur ins Manuskript schreiben möchte, dann kann es schlau sein, zum Beispiel eine einschlägige Rede des Bundesbankpräsidenten zu lesen. Für den Fall, dass sie Stoff für den eigenen Zweck bietet, gibt es zwei Möglichkeiten: Man ziert sich mit ihm, indem man ihn zitiert ("Auch der Bundesbankpräsident sieht es so, denn er sagte neulich....").

    Oder man macht sich einen Gedanken zu eigen, indem man ihn wirklich durchdringt und dann in neuer Formulierung, möglichst auch in variierter Argumentation verwendet. Dann braucht der, von dem die Anregung stammt, nicht (unbedingt) genannt zu werden. Große Reden sind schon immer im Dialog entwickelt worden, den die Ghostwriter und oft auch der Redner selbst vorher mit Experten und Weisen zum Thema führten.

    Was allerdings niemals geht, und da unterscheidet sich eine Rede doch nicht von der Doktorarbeit, ist die Methode Copy&Paste. Selbst wenn der Bundesbankpräsident wunderbare Formulierungen zur Konjunktur gesprochen hat, außer als ausdrückliches Zitat sind sie in einem anderen Redemanuskript tabu. Das ist nicht so sehr dem Urheberrecht geschuldet, als vielmehr dem Schutz des Redners, für den man schreibt: Fremde Sätze sind peinlich. Erst recht, wenn sie entdeckt werden, und damit ist im Google-Zeitalter immer zu rechnen...

    Montag, 14. Februar 2011

    8. Kurz und gut

    "Ihr könnt predigen, über was ihr wollt, aber predigt niemals über vierzig Minuten", empfahl Martin Luther. Allerdings ist inzwischen die Zeit knapper, die Konzentration geringer und die Autorität - selbst auf der Kanzel - kleiner geworden. Wir ziehen also für jedes Jahrhundert seit der Reformation fünf Minuten ab und kommen auf eine zeitgemäße Faustformel, die da lautet: Man kann über alles reden, nur nicht über 20 Minuten! Alles, was darüber hinaus geht, ist eine Zumutung für alle Beteiligten und braucht deshalb einen ganz besonderen Grund.

    "Viel Zeit, viel Ehr" - dieses Motto ist kein solcher Grund. Veranstalter bemessen Redezeiten oft zu lang, weil sie meinen, das schuldeten sie der Bedeutung des Redners. Umgekehrt hören sie nicht selten bei der Vorplanung: "Wenn mein Minister / Vorsitzender / Hauptgeschäftsführer schon auftritt, dann müssen Sie ihm mindestens 30 / 40 / 45 Minuten geben!" Dabei ist eine auf 20 oder 15 oder 10 Minuten begrenzte Redezeit, wenn sie zum Thema und zum Rahmen passt, durchaus keine Majestätsbeleidigung.

    Es kommt schließlich auf die Qualität und nicht so sehr auf die Quantität an. Zuviel Quantität geht leicht zu Lasten der Qualität. Oder anders gesagt: Je länger, desto dünner. Wer eine Rede abzusprechen und vorzubereiten hat, sollte also den Versuch nicht scheuen, übertriebene Redezeiten herunterzuhandeln. Vielleicht wird er für faul gehalten, aber das Publikum und der Redner werden es ihm danken.

    Allerdings muss so eine Absprache rechtzeitig geschehen. Wenn das Programm einer Veranstaltung erst einmal steht, muss der Redner die vorgesehene Dauer in etwa einhalten. Spricht er zu kurz, entsteht ein Loch im Ablauf; kann er kein Ende finden, wird vielleicht das Essen kalt.

    Wie bekommt man es hin, dass ein Manuskript der geplanten Redelänge entspricht? Auch hier hilft eine Faustformel: In fünf Minuten "verbraucht" ein Redner bei normalem Tempo im Durchschnitt etwa 450 Wörter. Wenn man in MS Word den Zähler mitlaufen lässt, hat man beim Schreiben immer im Blick, wie viel Wörter beziehungsweise Minuten noch übrig sind.

    Nun wird sich der Redner normalerweise nicht exakt an den Text halten. Aber das, was er weglässt, und das, was er frei hinzu fügt, können wir miteinander verrechnen, so dass es bei 1350 Wörtern Manuskriptlänge  für 15 Minuten Redezeit bleibt. Was am Ende zuviel ist, muss gekürzt werden. Vielleicht reicht es ja schon, alle Sätze zu streichen, die irgendwie dem Redetext des bekannten Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Stiegler ähneln. Die müssen sowieso raus...

    Montag, 7. Februar 2011

    7. Erstens, zweitens, drittens

    Der italienische Schriftsteller und Gelehrte Umberto Eco hat uns in seinem Werk "Die unendliche Liste" vor Augen geführt, wie der Mensch seit Beginn der Kulturgeschichte mit Hilfe von Listen, Katalogen und Sammlungen versucht, die endlose Vielfalt des Lebens überschaubar zu machen. Auch eine Rede muss mitunter Ordnung in eine schier unüberschaubare Menge von Fakten, Aspekten und Zielen bringen. Dabei kann eine Liste helfen.

    Das gilt zumal, wenn nicht zur Erbauung, zur Unterhaltung oder aus festlichem Anlass zu sprechen ist, sondern in der politischen Auseinandersetzung.  Dann kommt es oftmals darauf an, einen Sachverhalt schlüssig darzulegen, und dabei zugleich - sei es ausdrücklich oder zwischen den Zeilen - Fehler zu bestreiten, Vorwürfe zu entkräften, Dinge gerade zu rücken.  Einen solchen Redetext als Punktation ("Erstens, zweitens, drittens...") zu strukturieren, hat zwei Vorteile:

    Erstens: Gedankliche Disziplin. Die Struktur zwingt dazu, jene Punkte sorgfältig auszuwählen und durchzubuchstabieren, die einem wichtig (und/oder nützlich) sind. Von diesen Punkten aus denkend, ergibt sich dann fast von selbst, welches Faktum, welches Detail, welches Argument hinein gehört und welches nicht. Von Hölzchen auf Stöckchen kann man so eigentlich nicht kommen - und auch nichts Entscheidendes vergessen.

    Zweitens: Wirkung durch Klarheit. Eine solche Struktur signalisiert: Was jetzt kommt, wird nicht mal eben so aus dem Ärmel geschüttelt, sondern ist gründlich durchdacht! Das, was jetzt hier vorgetragen wird, ist das Wichtige; alles andere ist nicht von Belang!

    Diese Methode taugt übrigens nicht nur für den Sachstandsbericht oder die rhetorische Verteidigung im Parlament. Politische Redner nutzen sie gern auch, um Programmatisches einprägsam zu platzieren. Ob sieben Punkte zur Integration bei Horst Seehofer, zehn Punkte zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas bei Helmut Kohl oder 95 Thesen bei Martin Luther - immer nutzen sie die Kraft der Ordnungszahl, um ihre Sache kompakt zu machen. Wie sagte Umberto Eco zum Zauber der Liste: "Was will Kultur? Die Unendlichkeit fassbar machen."

    Montag, 31. Januar 2011

    6. Buten un binnen

    Die Regierung hat eine Offensive für besseres Wetter angekündigt. Das zuständige Referat im zuständigen Ministerium entwickelt das Projekt und dazu einen Plan, in welchen Schritten es verwirklicht werden soll - Eckpunkte festlegen, Maßnahmen ausarbeiten, mit den übrigen Ressorts abstimmen, andere Institutionen konsultieren, dem Kabinett zuleiten und so weiter, das Übliche eben.

    Weil das ein politisch so wichtiges Vorhaben ist, soll es fortan in jeder Minister-Rede vorkommen, auch wenn der Plan dazu noch nicht fertig ist:  Schaut her, daran arbeiten wir! Soweit sind wir schon gekommen! Ein ums andere Mal aktualisiert das Fachreferat seinen Redebaustein zur Wetter-Offensive entsprechend dem Projektfortschritt :  Eckpunkte festgelegt! Maßnahmen ausgearbeitet! Mit den übrigen Ressorts abgestimmt! Jetzt noch andere Institutionen konsultieren und dem Kabinett zuleiten...

    Aber woran ist zu ermessen, dass eine Sache wirklich voran gekommen ist? Der Insider mit seiner Binnensicht nimmt gern Verfahrensschritte als Meilensteine, denn so ist die Arbeit an dem Projekt ja strukturiert. Aber der Außenstehende, der Zuhörer - hat er nicht eine ganz andere Perspektive? Er möchte weniger Verfahren ("Demnächst ist die Anhörung der Wassersportler geplant") und mehr Inhalt: "Sturm ab Stärke neun schaffen wir ersatzlos ab!" Weniger Meta-Hülsen ("Wir verbessern die Rahmenbedingungen für das Wetter in Schleswig-Holstein") und mehr Konkretes: "Am 1.April ist endgültig Schluss mit Nachtfrösten."

    Beim Redenschreiben sollte man immer versuchen, ein Stück neben sich zu treten, um zu unterscheiden: Was ist reine Binnensicht und was wird der Perspektive des Außenstehenden gerecht? Ich mache dafür gerne den Hunde-Test: Bello wartet auf sein Fressen und Herrchen sagt ihm: "Prima, eine wichtige Hürde haben wir genommen, denn ich habe den Dosenöffner gefunden, mit dem ich die Frolic-Büchse öffnen kann, sobald Frauchen vom Einkaufen zurück ist." Zweifellos sind es wichtige Schritte zum Ziel, doch für den Hund sind es fremde Interna, die ihn nicht wirklich interessieren dürften.

    Ausnahmen bestätigen die Regel, das gilt selbstverständlich auch hier. Vielleicht signalisiert es dem Hund, dass das mit dem Fressen klar geht, wenn Herrchen den Dosenöffner in der Hand hat. So läuft es mitunter auch in der Politik. Deswegen kann es auch in Reden mal richtig sein, den Dosenöffner zu zeigen...



    Montag, 24. Januar 2011

    5. Von Schachteln und Strudeln

    Der folgende Satz stammt nicht von dem berühmten Schachtelbauer Heinrich von Kleist, sondern ist von mir eigens für Sie konstruiert worden: Ein Redetext, der dem Grundsatz, die Möglichkeit des Publikums, dem Redner möglichst ohne Schwierigkeiten und mit Freude zu folgen, zu berücksichtigen, nicht in dem Maße Rechnung trägt, dass der Zuhörer zumindest den roten Faden behält, den die Rede haben sollte, taugt nicht viel. - Ein echtes Monstrum, auch wenn inhaltlich alles stimmt. Man könnte aber viel einfacher sagen: Der Text muss dem Zuhörer leicht ins Ohr und dem Redner leicht von den Lippen gehen. 

    Dazu darf man sich getrost über die eine oder andere Regel des Schriftdeutschen hinwegsetzen. "Der Vorschlag, die feste Fehmarnbeltquerung aufzugeben, ist falsch", würde man schriftlich formulieren. Aber zu sprechen und zu verstehen ist leichter: "Der Vorschlag ist falsch, die feste Fehmarnbeltquerung aufzugeben." Oder: "Es gibt den Vorschlag, die feste Fehmarnbeltquerung aufzugeben. Aber er ist falsch." 

    Beim Redenschreiben sollte man Informationen nicht schachteln, sondern logisch in eine Reihe bringen. So ist das Publikum zu jeder Zeit auf der Höhe des Gedankens und muss sich nicht zu viel merken, bis irgendwann der Schlüssel zum Verständnis nachgereicht wird. Und der Redner kommt nicht in die missliche Lage zu versuchen, die komplizierte Struktur eines Schachtelsatzes mit melodischen Mitteln kenntlich zu machen. Es wäre jedenfalls gut, wenn der Text nicht dem Redner den Atem raubt, sondern dem Publikum.

    Wer als Texter seinen Redner nicht quälen will, dem sei der Selbsttest empfohlen: Die umständlichen Formulierungen, die schiefen Konstruktionen, die Strudel im Gedankenfluss und all die anderen Unebenheiten, die einem beim eiligen Schreiben unterlaufen, können sich nicht mehr verstecken, wenn man Satz für Satz sich selbst vorliest. Die in Schleswig-Holstein lebende Dichterin Sarah Kirsch berichtete einmal, sie lese ihre Entwürfe dem Kasettenrekorder vor und stoße dabei auf die Ungereimtheiten, auch ohne die Aufnahme je wieder abzuspielen. Diese oder ähnliche Methoden in der Schreibstube erleichtern einem Redner das Leben ungemein.

    Montag, 17. Januar 2011

    4. Die entscheidende erste Minute

    Glücklicherweise ist eine Rede kein Roman. Da kann der erste Satz schon das Schicksal besiegeln. Aber auch für einen Redner hängt viel vom Anfang ab. Wenn wir einem Menschen zum ersten Mal begegnen, bilden wir uns innerhalb von 60 Sekunden ein Urteil, sagen Wissenschaftler. Mehr Zeit hat auch ein Redner nicht, um dafür zu sorgen, dass die Anwesenden sich nicht dem Nachbarn oder dem Blackberry zuwenden.

    60 Sekunden, das sind über den Daumen gerade einmal 90 Worte. Wie weckt und hält man die Aufmerksamkeit des Publikums? Es kommt immer darauf an, zu welchem Anlass eine Rede gehalten werden soll, ob es sich um eine Festansprache handelt oder um eine Gedenkrede, ob der Vortragende der "Keynote-Speaker" oder der Lobredner ist, ob die Hauptversammlung einer Volksbank, die Besuchermassen eines Stadtfestes oder die Mitglieder einer Volksvertretung das Publikum sind.

    Deshalb gibt es auch hier keine Patentrezepte; der Redenschreiber muss sich etwas einfallen lassen, das zum Anlass und zum Redner (!) passt. Aber es gibt ein paar bewährte Einstiegsmethoden. So kann man Bezug auf den Veranstaltungsort nehmen. Ein Amtsträger aus Scheswig-Holstein begann eine Rede in Hamburg so: "Man möchte als Schleswig-Holsteiner Hamburg ein Kompliment machen. Was kann ich sagen? Ich schließe mich Gerhart Hauptmann an: 'Man nenne mir eine zweite, ebenso große deutsche Stadt, deren Funktion und Form so übereinstimmen'." Hier ist gleich noch ein Zitat verwendet worden. Auch damit kommt man mitunter gut in eine Rede hinein. 

    Oder ein Minister aus Schleswig-Holstein wirbt in Augsburg für die maritime Wirtschaft. Dann könnte er damit anfangen, dass es ein Schwabe war, der bei der Kieler Traditionswerft HDW das erste U-Boot in Auftrag gab. Schon eine schnelle Internet-Recherche bringt oftmals erstaunliche Informationen, aus denen sich ein interessanter Auftakt entwickeln lässt.
    Manchmal fällt das Rededatum auf ein Jubiläum, das zum Anlass passt. Ein Witz oder eine Anekdote können ebenfalls zum Thema hinführen. Oder man stellt einen persönlichen Bezug des Redners zum Veranstalter bzw. Thema her. Bundeskanzlerin Merkel begann bei der Feier zum 100jährigen Bestehen des Evangelischen Pressedienstes (epd) mit Bemerkungen darüber, wie sie sich selbst in diesem Medium dargestellt fand.

    Alles ist möglich, wenn es zu den Umständen passt, wenn es unterhaltsam und leicht zu verstehen ist, wenn es einen gewissen Esprit vermittelt, der den Zuhörer auf den Hauptteil der Rede neugierig macht. Originell, überraschend, erfrischend - alles darf der Einstieg sein, nur nicht so weit hergeholt, dass das Publikum denkt: Na, da hat der Redenschreiber aber lange gesucht...

    Besonders gut kann man bekanntlich von schlechten Beispielen lernen. Da kommt Kurt Tucholskys Ratschlag für schlechte Redner gerade recht: "Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so:  'Meine Damen und meine Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz ...' Hier hast du schon ziemlich alles, was einen schönen Anfang ausmacht: eine steife Anrede; der Anfang vor dem Anfang; die Ankündigung, daß und was du zu sprechen beabsichtigst und das Wörtchen ‘kurz’. So gewinnst du im Nu die Herzen und die Ohren der Zuhörer."

    Montag, 10. Januar 2011

    3. Meinung, Meinung – und ans Publikum denken

    Fakten, Fakten – und an den Leser denken! Für ein Nachrichtenmagazin mag das der richtige Slogan sein. Aber für einen hochrangigen Redner, der nicht gerade beim Faktencheck „Stuttgart 21“ auftritt, gilt: Meinung, Meinung - und ans Publikum denken. Wer wirklich hören will, wie sich das Bruttoinlandsprodukt unter besonderer Berücksichtigung der Exporte ins Baltikum und der Importe aus Indochina entwickelt hat, soll einen Ministerialbeamten aus der Fachabteilung oder einen Vertreter des Instituts für Weltwirtschaft einladen.

    Von einem Politiker, zumal einem Minister will man erfahren, was er denkt und was er will, was seine Werte und seine Pläne sind. Einschlägige Fakten haben da einen Platz, wenn sie wirklich neu sind und wirklich zum Thema gehören. Aber den Fall wird es selten geben in einer Zeit, da selbst Verfassungsgerichtsurteile mitunter vor der Verkündung bekannt sind.

    In der Praxis müssen Reden meistens auf bekannte Fakten aufbauen und sollen doch interessant sein. Das geht nur mit Meinung, Meinung, Meinung! Fakten haben dabei nur eine Berechtigung, wenn sie der Meinung sozusagen dienen: Sie benennen kurz den Gegenstand, der bewertet oder eingeschätzt, verworfen oder gewürdigt, kritisiert oder gelobt werden soll.

    Wenn der Schiffbau in Fernost die Werften hierzulande bedroht, worauf läuft das denn hinaus? Wenn unsere Universitäten dieses und jenes Excellenzcluster haben, was sagt das eigentlich aus? Wenn die Wirtschaftsförderinstitute die öffentlichen Finanzhilfen für Unternehmen im letzten Jahr erneut gesteigert haben – ist das wirklich eine gute Nachricht und wenn ja, warum?

    Wenn im Manuskript steht, wie viele Kilometer der neue Autobahnabschnitt misst, dann muss sofort ein Satz folgen, der anfängt mit einem "Das heißt..." oder "Das bedeutet... " oder "Ich sehe darin..." In einem Redemanuskript könnte stehen: "21 Kilometer Autobahn geben wir heute für den Verkehr frei"; aber dann sollte eine Wertung folgen: "Und das sind 21 Kilometer mehr in Richtung Polen, 21 Kilometer in Richtung Westen, 21 Kilometer mehr für die Einbindung unseres Landes in den kontinentalen Wirtschaftsverkehr." Zugegeben, es ist ein banales Beispiel, aber man sieht das Prinzip.

    Bewertung, Einordnung, gerne auch persönliche Betrachtung - das interessiert die Zuhörer, das hält sie wach. Und wenn der Redner dann zwischendurch auch noch einmal kurz aus dem Nähkästchen plaudert oder wenigstens so tut, dann werden sie geradezu lauschen!

    Mit Fakten und Zahlen sollte man in Reden also sparsam umgehen, es sei denn, sie haben einen wohl bedachten Zweck. Dann darf man mit Zahlen auch mal verschwenderisch umgehen wie in diesem schönen Beispiel aus dem Deutschen Bundestag...

    Dienstag, 4. Januar 2011

    2. Keine Eulen nach Athen

    Stellen Sie sich vor, Sie wären Mitglied im Verband der Gehwegreinigungsunternehmen Schleswig-Holsteins (GRSH). Das hieße: Sie hätten es seit Wochen mit Schnee und Eis auf den Bürgersteigen zu tun, die Sie im Kundenauftrag räumen und streuen müssen; Sie hätten Mühe, das erforderliche Streusalz zu beschaffen, und es fielen auch schon die ersten Maschinen aus, weil sie überansprucht sind und die Ersatzteile knapp werden. Sie wissen also nicht, wo Ihnen der Kopf steht.

    Aber zur Jahreshauptversammlung Ihres Verbandes gehen Sie doch, denn dort tritt der Wirtschaftsminister als Gastredner auf, und Sie möchten gerne hören, was er zu sagen hat. Und dann kommt der Minister auch und hält seine Rede: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, die 123 Mitglieder Ihres Verbandes haben es zurzeit nicht leicht. Auf den 2375 Kilometer Gehweg, die sie zu reinigen haben, liegt seit viereinhalb Wochen Schnee, und an 17 Tagen war es auch noch glatt. Deswegen ist inzwischen das Streusalz knapp und fallen die ersten Maschinen aus, weil sie überlastet und Ersatzteile kaum noch zu bekommen sind..."

    Diesen Verband gibt es natürlich nicht, aber solche Redemanuskripte durchaus. Das ist ärgerlich für die Zuhörer: Man hat sich die Zeit genommen, um dahin zu fahren, und dann wird einem etwas vorgetragen, was man selbst besser weiß. Redetexter tragen allzu oft Eulen nach Athen, weil für sie der Stoff neu ist und sie dabei vergessen, dass für das sachkundige Publikum das Gegenteil gilt. Man recherchiert, was die Grunddaten und die aktuellen Probleme eines Verbandes sind, und formuliert daraus eine Rede. Diese Recherche muss sein, damit man überhaupt Bescheid weiß. Aber der Redestoff ist das noch nicht.

    Besonders bei einem homogenen Publikum wie auf einer Verbandsversammlung ist es höflich, wenn der Redner das Publikum spüren lässt: Ich habe mich mit eurer Situation beschäftigt, ich weiß, wie es euch geht! Aber das ist etwas ganz anderes, als den Inhalt der Verbandshomepage vorzutragen. Dann fühlt sich die Zuhörerschaft im besten Fall gelangweilt, wahrscheinlich aber schlecht oder gar despektierlich behandelt, und so etwas hängt dem Redner lange nach.

    Nachdem die verfügbaren Informationen zusammengetragen und sortiert sind, fängt die eigentliche Arbeit des Redenschreibens erst an: Welche Fragen ergeben sich, zum Beispiel an den zuständigen Minister, und worauf erwartet das Publikum Antworten? Wo sind Konflikte und wie stehen wir dazu? Was können wir der Gruppe, die da sitzt, bieten? Was wollen wir von ihr fordern? Wie lässt sich das, was da anzusprechen ist, in einen übergeordneten Zusammenhang stellen? Nun ist zu entscheiden, welche Punkte man in welcher Reihenfolge behandeln, welche man kurz erwähnen und welche man weglassen möchte, und schon ergibt sich eine tragfähige Gliederung.

    Dann muss man sie nur noch mit plausiblen Argumenten, klugen Gedanken, klaren Formulierungen, lebendigen Bildern, unterhaltsamen Episoden, spannenden Passagen und treffenden Pointen füllen und dabei immer an Mark Twain denken: "Eine gute Rede hat einen guten Anfang und ein gutes Ende - und beide sollten möglichst dicht beieinander liegen."

    Montag, 3. Januar 2011

    1. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte...


    sagen die Fotografen, um die Ausdrucksstärke ihres Produktes zu beschreiben. Täglich sehen wir solche Bilder, die mehr sagen als tausend Worte, etwa wenn die Medien aus Kriegs- und Katastrophengebieten berichten. Manche dieser Bilder bleiben uns für immer in Erinnerung, zum Beispiel das neunjährige vietnamesiche Mädchen Kim Phùk, das am 8.Juli 1972 nackt und verzweifelt vor einem Napalm-Angriff flieht und dabei von AP-Fotograf Nick Ut abgelichtet wird. Oder Bundeskanzler Willy Brandt, wie er am 7.Dezember 1970 vor dem Mahnmal des Warschauer Ghettos niederkniet.

    Auch innerhalb der Sprache gilt: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. John F. Kennedys "Ich bin ein Berliner" war so ein Sprachbild, das dem amerikanischen Präsidenten einen ewigen Platz in der Ruhmeshalle der Deutschen einbrachte, weil er sich mit ihnen in bedrohter Lage identifizierte. Der SPD-Politiker Franz Müntefering schaffte es mit einem Bild aus der Tierwelt ("Heuschrecken"), einem damals neuartigen Segment des Finanzmarktes (Private Equity) seinen Stempel aufzudrücken.

    Nun wird man beim alltäglichen Redenschreiben für unspektakuläre Anlässe nicht jedesmal auf eine Wirkung hoffen können, wie sie selbst amerikanischen Präsidenten auf der Bühne der Weltgeschichte nur sehr selten gelingt. Aber ein wenig danach streben sollte man auch bei einem Redetext für einen Allerweltstermin in Kleinkleckersdorf. Denn mit der Suche nach dem einen Begriff oder Satz, der es auf den Punkt bringt, verbindet sich zwangsläufig die Frage, was da eigentlich zum Ausdruck gebracht werden soll und mit welchem Ziel. Diese Frage muss immer gestellt und vor allem beantwortet werden, wenn der Redner dem Publikum das nötige Maß an Achtung entgegen bringen soll. Und für das konkrete Publikum, das da irgendwo in einem Saal sitzt und den Gruß-, Fest- oder Tischredner erwartet, handelt es sich niemals um einen Allerweltstermin, auch nicht in Kleinkleckersdorf.

    Sprachbilder bereichern jede Rede. Aber Vorsicht: Wie eine Fotografie, so darf auch ein Sprachbild nicht unscharf, verwackelt, farblich verfälscht oder schlecht ausgeleuchtet sein. Ein Bild muss stimmen, sonst bleibt der Redner nicht mit seiner Botschaft in Erinnerung, sondern wegen seiner unfreiwilligen Komik. Im Radio sagte kürzlich ein Fußballclub-Geschäftsführer zum Abgang des Trainers, dessen sportliche Ambitionen müssten mit den wirtschaftlichen Beinen des Vereins in die Waage gebracht werden. Dazu hätte mein Lateinlehrer gesagt: "Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht!" Wie man mit mißglückten Bildern abstürzen kann, hat Edmund Stoiber demonstriert, als er für den Transrapid von der Münchner Innenstadt zum Flughafen Franz-Josef-Strauß werben wollte.

    Der Stoiber-Ausbruch erinnert auch an eine Tatsache, an die Redner und Redenschreiber immer denken sollten: Nicht jeder Lacher ist ein Erfolg. Dagegen transportiert ein Sprachbild, das sitzt, - ob gesprochen oder geschrieben - viel Inhalt, und zwar schnell und ohne Schwund. Wenn die taz ein Alice-Schwarzer-Portrait mit dem Satz überschreibt: "Die Fidel Castra der Frauenbewegung", dann kann sich jeder vorstellen, was gemeint ist.