Donnerstag, 31. Mai 2012

35. Bittres Gift...

Ich beende meine kleinen Hinweise zum Redenschreiben mit einem wunderschönen Gedicht von Eugen Roth. Er bringt uns zum Lachen und rettet uns damit aus der Situation, die er so trefflich bedichtet.

Ein Mensch sitzt kummervoll und stier
vor einem weißen Blatt Papier.
Jedoch vergeblich ist das Sitzen –
Auch wiederholtes Bleistiftspitzen
schärft statt des Geistes nur den Stift.
Selbst der Zigarre bittres Gift,
Kaffee gar, kannenvoll geschlürft,
den Geist nicht aus den Tiefen schürft,
darinnen er, gemein verbockt,
höchst unzugänglich einsam hockt.
Dem Menschen kann es nicht gelingen,
ihn auf das leere Blatt zu bringen.
Der Mensch erkennt, dass es nichts nützt,
wenn er den Geist an sich besitzt,
weil Geist uns ja erst Freude macht,
sobald er zu Papier gebracht.

Montag, 12. März 2012

34. Georg Orwell: "1946"

Der englische Schriftsteller Georg Orwell ist bei uns besonders bekannt durch seine Werke "Farm der Tiere" und "1984". Er hat viel mehr geschrieben - auch über das Schreiben. Aus Georg Orwells 1946 erschienenem Essay "Politics and the English Language" stammen die folgenden sechs Regeln für einfaches Schreiben, die ewig gelten, insbesondere für Redetexte.

Erstens:
Niemals eine Metapher, einen Vergleich oder eine Redewendung benutzen, die einem ständig begegnet.

Zweitens:
Niemals ein langes Wort benutzen, wo auch ein kurzes passt.

Drittens:
Wenn ein Wort gestrichen werden kann, dann wird es auch gestrichen.

Viertens:
Niemals das Passiv benutzen, wo auch Aktiv möglich ist.

Fünftens:
Niemals ein Fremdwort, ein Fachwort oder einen Jargonausdruck benutzen, wo die Umgangssprache einen geeigneten Ausdruck bietet.

Sechstens:
Lieber jede dieser Regeln brechen als etwas schreiben, was absolut unmöglich klingt.

Montag, 5. März 2012

33. Sudoku

Erfolg ist angeblich fünf Prozent Inspiration und 95 Prozent Transpiration. So verhält es sich auch beim Redenschreiben. Eine Idee sollte man natürlich haben; aber um sie zur Geltung zu bringen, ist viel systematische Fleißarbeit nötig, und dafür ist ein gutes Computerprogramm hilfreich.

Ich benutze mit Vorliebe das Autorenprogramm "Scrivener". Inzwischen gibt es dieses vielseitige Schreibwerkzeug nicht nur für Macintosh, sondern auch für Windows, allerdings noch immer nicht in deutscher Version.

Was macht "Scrivener" so nützlich für den Redenschreiber?

-   Die Software arbeitet projektbezogen und ermöglichst es, allen Stoff auf ein- und derselben Benutzeroberfläche zu versammeln und zu strukturieren, den ich für eine Rede benötige beziehungsweise der bei der Ausgangs- und Ergänzungsrecherche anfällt.

-   Das gilt für Medien und Dateien aller Art, aber auch für das eigene Redenarchiv, auf das man ja immer wieder zurückgreift. Nach Stichworten in der linken Spalte des Desktop geordnet, lässt sich alles rasch finden und für den Text verwenden, der in der Hauptspalte in der Mitte entsteht. Rechts ist Platz für Randbemerkungen und Zusammenfassungen.

-  Die Struktur des Manuskriptes lässt sich mit diesem Programm sehr leicht verändern, ohne dass der Überblick verloren geht. Auch das Arbeiten an Abschnitten bei vorläufiger Gliederung ist komfortabel.

Für mich ist "Scrivener" das Programm der Wahl, um einen wachsenden Fundus an Basisinformationen, an Quellen, an Beispielen, Geschichten und Anekdoten, an Formulierungsbausteinen und Rechercheergebnissen zu verwalten und für immer neue Texte effizient zu nutzen. Im Zeitalter des mobilen Arbeitens ist es von Vorteil, dass "Scrivener" auch von unterwegs gespeist werden kann. Das geschieht mit dem Texteditor "Plaintext" vom Ipad aus, per Dropbox synchronisiert.

Das Ipad sollte übrigens jeder, der von Berufs wegen oft reden muss, zumindest einmal testen. Wer damit etwas anfangen kann, dem kann es das Leben erleichtern: Man hat das komplette Archiv wichtiger Texte und Dokumente gleichsam unter dem Arm, man kann umfangreiche Redemanuskripte wie auf einem Teleprompter ablaufen lassen und auf diese Weise lebendiger vortragen, und wenn es in einer Veranstaltung mal zu langweilig wird, kann man Sudoku spielen.

Montag, 27. Februar 2012

32. Vertretungen

Es war die Woche des gesprochenen Wortes. Selten ist eine Veranstaltung so stark beachtet worden wie die Gedenkfeier für die Nazimordopfer am Donnerstag im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt. Was würde der Staat sagen zu dem Unsäglichen, wie würde er sich bekennen zu dem Unglaublichen, das den Mordopfern und ihren Angehörigen widerfuhr?

Auch aus der Sicht der Redenschreiberei war der Termin ungewöhnlich spannend: Würde es eine Wulff-Rede sein oder eine Merkel-Rede? Als der Bundespräsident ein paar Tage vor seinem wohl heikelsten Auftritt zurücktrat, war sein Redemanuskript sicher schon fertig. Gab es das Bundespräsidialamt an die Kollegen vom Bundeskanzleramt weiter, als Frau Merkel die Rede übernahm?

Es kommt auf allen Ebenen vor, dass ein Redner ausfällt. Mal löst man das Problem wie der König von Hawaii, der als erster ausländischer Ehrengast im Jahre 1874 vor dem amerikanischen Kongress sprechen sollte. Er wurde plötzlich krank und ließ seine Rede von einem Mitarbeiter verlesen. Mal löst man es wie der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2005 von einem fachkundigen Vertreter des nächst niedrigeren Ranges vortragen ließ, nämlich vom Verteidigungsminister. Immerzu trägt irgendwo in Deutschland ein Staatssekretär eine Minister- oder ein Minister eine Ministerpräsidenten-Rede vor. Nur wenn der Termin frühzeitig übertragen wird, wird eine eigene Rede gefertigt und gehalten.

Aber am Donnerstag war alles viel komplizierter, weshalb es zu der einmaligen Konstellation kam: BK springt für BuPrä ein. Der Wulff-Text konnte ja nicht von einem Vertreter verlesen werden, denn Wulff gab es gar nicht mehr. Ebenso verbot sich eine Vertretung nach Schema F; denn der Anlass war politisch zu gravierend für das zweite oder dritte Glied. Insofern war es eine gute Lösung, dass die Bundeskanzlerin das Wort ergriff - vielleicht sogar besser als der ursprüngliche Plan, denn die Regierungschefin verkörpert die verantwortliche Staatsmacht, die sich hier stellen musste, während der Präsident sie nur repräsentiert.

Frau Merkel ergriff die Chance, und wir erlebten eine Bundeskanzlerin in einer rhetorischen Form, die man von ihr nicht mehr erwartet hätte nach all den langweiligen und platten Reden, die sie sonst herunterleierte. Wer immer diesmal den Text entworfen hat - hier sprach eine Bundeskanzlerin, die die richtige Botschaft formulierte und dabei den Ton traf. Es sprach eine Staatsfrau, die ihrer Verantwortung angemessen auftrat, die Anteilnahme und auch Scham so ausdrückte, dass man es ihr glauben konnte. (Von ernsthafter Vorbereitung zeugte auch, dass sie alle türkischen Namen glatt über die Lippen brachte; nur beim Namen Wulff kam es zu einem kleinen Verhaspler.)

Wie gut die Entscheidung von Angela Merkel war, die Sache an sich zu ziehen, zeigte ein anderer Fall in der gleichen Woche. Hier übernahm der offizielle Vertreter des Bundespräsidenten einen Redetermin und auch gleich das für Christian Wulff vorbereitete Manuskript. Der Mitschnitt legt Zweierlei nahe: Vermutlich stammt der Sprechzettel von einem Praktikanten, weil die anderen Redenschreiber mit Wichtigerem wie Gedenk- oder Rücktrittsreden beschäftigt waren. Und der Redner spürte sichtbar, dass das gekünstelte Manuskript nicht zu ihm passte. Er hätte es beiseite legen und für den Rennfahrer Vettel ein paar Sätze aus dem Stehgreif finden müssen.


Montag, 20. Februar 2012

31. Das ist nicht lustig

Am Aschermittwoch ist alles vorbei! Diese Gewissheit ist ein Trost für die Ghostwriter hochgestellter Parteileute, die im politischen Aschermittwoch eine tragende Rolle spielen müssen, nämlich die des witzig-krachenden, des politisch-polemischen Volksredners.

Viele Redenschreiber sind betroffen; denn was palavernde Bauern vor 400 Jahren am Rande des Vilshofener Vieh- und Rossmarktes begannen und was Franz-Josef Strauß mit seiner saalfüllenden Potenz in den 1950er Jahren zum Großritual machte, ist inzwischen zu einer Art Landplage geworden, wie die Süddeutsche Zeitung anmerkte: Überall gibt es diese Veranstaltungen, in denen Politiker eine Mischung aus Kabarett, Karneval und politischer Führung auf die Bühne zu bringen versuchen, selbst im nüchternen Schleswig-Holstein.

Ob in Vilshofen, Passau oder Marne, es ist überall das gleiche: Der Redner will das Publikum zum Lachen, Klatschen, Trampeln bringen; er will grobe Klötze auf grobe Keile setzen, die er sich selbst zurecht legt; er will die Anhänger mitreißen und die Gegner einschüchtern; er will Witze auf Kosten der anderen machen, um die eigenen Reihen zu schließen. Er will Pointen abschießen, die im Saal einheizen und in den Medien widerhallen.

Eine Regierungserklärung ist im Vergleich dazu ein Klacks. Der Redner sollte sich - schon wenn die Einladung sondiert wird - überlegen, ob er in der Bütt' wirklich eine gute Figur macht. Und der Ghostwriter muss sich fragen, in wieweit so ein Fall in seine Kompetenz fällt. Ein verantwortliches Nein ist besser als ein Ja aus Selbstüberschätzung oder Feigheit. Es gibt ehrenwerte Alternativen zum Selberschreiben: Man kann vorschlagen, einen Pointenfachmann aus der Unterhaltungsbranche hinzu zu ziehen; man kann raten, eine Redenschreiberagentur zu beauftragen, die auf Witz und Klamauk spezialisiert ist. Der Ghostwriter managt dann den Prozess und ist das Korrektiv für die Externen. Denn er ist ja der Experte in der Frage, was zu seinem Chef passt und was nicht.

Der Redner selbst wird sich, wenn denn der Text steht, auf den Vortrag hoffentlich so gründlich vorbereiten wie sonst selten. Pointen zünden nur, wenn sie präzise abgewickelt werden. Der Plot muss funktionieren, jedes Wort muss an seinem Platz sein, aber auch Stimme, Melodie und Mimik müssen passen. Eine gute Idee holpert, wenn sie verkrampft vorgetragen wird; eine prononcierte Vortragsweise nützt nichts, wenn der Inhalt peinlich ist. Ein Witz krepiert, wenn er nicht verstanden wird. Also muss getestet und geübt werden.

Eine lustige Rede ist immer eine schwere Geburt. Aber wenn sie dann halbwegs funktioniert hat, sind die Schmerzen bald vergessen. Und wenn die nächste Anfrage nach einer Gaudi-Rede ins Haus kommt, wird man sagen: Aber gerne doch, das machen wir mit links...




Montag, 13. Februar 2012

30. Mir san mir


,,Der Vorschlag der XY-Fraktion wird kritisch gesehen", schrieb ein Fachreferent in den Redeentwurf für seinen Minister. Das ist schönstes Verwaltungsdeutsch - möglichst passiv und nur nicht zu konkret: Ob da eine Position oder eine Beobachtung formuliert worden ist, kann man allenfalls aus dem Zusammenhang schließen.

Wenn er wenigstens geschrieben hätte: "Wir sehen den Vorschlag kritisch." Das wäre immerhin etwas konkreter und typisches Politikdeutsch. Denn auch dort gibt es Formeln, die der Zuhörer erst entschlüsseln muss, und die beliebteste von ihnen dürfte das Wörtchen ,,wir" sein.  An einem einzigen Sitzungstag des Schleswig-Holsteinischen Landtags verzeichnete das stenografische Protokoll das Personalpronomen 1.Person Plural 481 Mal, weit häufiger als die Singular-Variante.

Nun ist das "wir" aber auch ein wahrer Joker. Mal steht es für ein majestätisches Ich ("Wir, Kaiser Wilhelm von Gottes Gnaden "), mal für den bescheidenen Redner oder Autor, der sich mit dem Publikum gemein macht ("Wir wissen doch..."); das "wir" kann einschließen ("Wir wollen doch alle...") und ausschließen ("Wir haben schon immer dafür gekämpft...").

Wenn ein Minister "wir" sagt, kann vieles gemeint sein: er und alle Anwesenden, er und die gesamte Regierung, er und seine Mitarbeiter im Ministerium, er und seine Amtskollegen, er und seine Fraktion oder Partei, er und das Volk, er und sein Hund und und und...

Jeder Mensch kann, hoffentlich, ganz oft "wir" sagen und jedes Mal eine andere Gruppe meinen, der er angehört. Aber Redner sind auserkoren, ihre Gedanken vor großem Auditorium darzulegen. Dann sollten sie - und ihre Ghostwriter - nicht so bequem sein, den Joker zu spielen, wo auch eine bestimmte Karte passt - wenn man sie denn sucht.

In der Juristerei gibt es den Grundsatz der Bestimmtheit. Es muss immer klar sein, was  gemeint ist. Das sollte auch für die öffentliche Rede gelten, insbesondere im Hinblick auf das Subjekt, das etwas will, meint, denkt, fordert, ablehnt oder unterstützt. Frei nach dem bayrischen Grundsatz: Mir san mir - und ich bin ich.


Montag, 6. Februar 2012

29. Bürger-to-go

"Man muss die Menschen mitnehmen." Dieser Satz könnte aus einem ÖPNV-Grundsätze-Gesetz entnommen sein, wenn es denn eines gäbe: Ganz klar - Eisenbahn, Bus, Taxe müssen die Menschen mitnehmen und sollen sie nicht stehen lassen.

Aber es handelt sich nicht um den Schlüsselsatz der Personenbeförderung, sondern um ein Sprachunkraut, das sich im Funktionärsdeutsch ungefähr so invasionsartig ausbreitet wie die allergene Ambrosia in der Pflanzenwelt unter den Bedingungen des Klimawandels.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will es und die Kirche in Höxter auch; VW-Chef Martin Winterkorn und das Fachmagazin "Friseurwelt", der Rewe-Aufsichtsratsvorsitzende und die FDP Berchtesgarden, der Schalke-Boss Tönnies, der DIHK-Präsident Driftmann, die neue Finanzdezernentin der Universität Jena, der Innenminister von Rheinland-Pfalz und der Wirtschaftsminister von Bayern - sie alle wollen das eine, nämlich die Menschen mitnehmen.

Es handelt sich um eine Art Selbstbeschwörungsformel von Mächtigen, die eine Grenze ihrer Macht erfahren: Das Volk will nicht, jedenfalls nicht auf Anhieb, so wie es soll - beim Bau von Stromtrassen, in der Trainer-Frage, beim Autokauf, bei der Rettung von Banken, Staaten oder Währungen. Die Devise lautet: Wir bestimmen, wo es lang geht, und wenn die Bürger nicht von allein Schritt halten, dann nehmen wir sie eben mit.

In die Demokratie, in das Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten, zwischen dem Souverän und seinen leitenden Angestellten, passt das Bild ganz und gar nicht. Es ist anmaßend, patriarchalisch, manipulativ. Regierende schulden den Bürgern Rechenschaft für das, was war, und Gründe für das, was kommen soll. Den "Bürger-to-go" aber gibt es nicht.

Montag, 30. Januar 2012

28. Das innere Team


Der Chef kommt von einer Veranstaltung zurück und sagt zum Ghostwriter: ,,Ich fand die Rede ja schön, als ich sie las. Aber die Leute klinkten sich aus. Es kam erst wieder Leben in die Gesichter, als es um Alltagsprobleme ging. Allzu Philosophisches sollten wir doch lieber lassen."

Etwas grundsätzlicher als sonst war das selbstgewählte Thema schon, etwas abstrakter vielleicht die Gedanken. Aber philosophisch? Egal, es war der Ghostwriter-HAU eingetreten, der häufigst anzunehmende Unfall: Der Köder hatte dem Angler geschmeckt, aber mögen muss ihn der Fisch!

Wie kann das passieren? Ich nehme Professor Friedemann Schulz von Thun zu Hilfe, den großen Kommunikationspsychologen aus Hamburg. Von ihm stammt das Modell des Inneren Teams und der diesbezügliche Reim: "Willst du ein guter Kommunikator sein, dann schau' auch in dich selbst hinein!" Dort fänden wir in der Regel verschiedene Stimmen, ,,die sich selten einig sind und die alles daran setzen, auf unsere Kommunikation und unser Handeln Einfluss zu nehmen".

Schauen wir mal in den Ghostwriter hinein, wenn er eine Rede vorbereitet. Eine muntere Runde trifft sich da, es geht zu wie im Weltsicherheitsrat: divergierende Interessen, schlechte  Übersetzung, alle haben eine Stimme, manche ein Veto. ,,Ich vertrete hier den Redner'', sagt der erste: "Ich verlange, dass er gut aussieht mit der Rede. Ihr wisst, was ich meine: klug, aber nicht abgehoben; kompetent, aber verständlich; problembewusst, aber lösungsorientiert; entschlossen, aber offen; kundig, aber nicht besserwisserisch. Und ein bisschen Vision wäre auch nicht schlecht. Vor allem müsste es mal etwas Besonderes sein."

Der Vertreter des Veranstalters sagt, er könne sich kurzfassen: "Ich will nur eins -  eine gelungene Veranstaltung und das Thema Schwarzarbeit muss vorkommen." "Nichts dagegen", sagt der Publikumsvertreter, "aber wenn wir uns - mit An- und Abfahrt - drei bis vier Stunden um die Ohren hauen, dann soll es sich auch lohnen. Wie ihr das macht, ist mir egal."

Weitere Wortmeldungen? Ja, unbedingt, der Ghostwriter selbst! Er muss ja die Wünsche der anderen zum Ausgleich bringen und ist doch selbst kein Eunuch: Er möchte zeigen, was er kann; er möchte nicht als Platt-Schnacker dastehen, der das Publikum unterfordert; nicht als Überflieger, der über die Zuhörer hinweg formuliert; nicht als unfähig, indem er das Puzzle aus Redner, Rede, Situation, Publikum, Rahmen, Tagesaktualität usw. vermasselt.

Laut Schulz von Thun ist das innere Team mitunter ein zerstrittener Haufen, der sehr lästig sein kann. In unserem Falle ist es fast wie im richtigen Leben: Jeder sieht nur sein Interesse, und das ist bei allen das gleiche: Man will nicht für blöd gehalten werden - der Ghostwriter nicht vom Redner, der Redner nicht vom Publikum, das Publikum nicht vom Redner. Beim inneren Team des Ghostwriters ist es wie bei realen Teams: Die Sitzung ist zu Ende, aber es ist nicht alles ausdiskutiert. Einige haben sich in den Vordergrund gespielt, und jemand hätte ihnen mehr Kontra geben sollen. Es gibt ein Ergebnis, aber es ist zu vage geblieben.

So kann es kommen, dass eine Rede nicht gut funktioniert und sich das erst "in situ" zeigt. Was lehrt mich der Fall? Der Ghostwriter muss an sich arbeiten, was das Leiten und Moderieren des inneren Teams angeht.





Montag, 23. Januar 2012

27. Pizza ist das A und O

"Ich erwarte", schrieb Cicero vor über 2000 Jahren, "dass der vollkommene Redner sich zunächst ein Thema ausfindig macht, womit er sich einer kultivierten Hörerschaft würdig zeigt, bevor er überhaupt einen Gedanken an Sprache und Ausdruck verwendet."

Als ich einmal eilig eine Rede zu schreiben hatte, bei der alles unklar schien, ging ich zum Italiener, um essend und trinkend zu überlegen, wie ich die Sache angehen könnte. An diesem Abend entwickelte ich eine Checkliste zur Themenfindung und nannte sie, vom Schöpfungsort inspiriert, "Pizza ist das A & O".

P  wie Publikum: Wen hat der Redner vor sich? Was sind das für Leute? Wo kommen sie her? Wie viele sind es? In welcher Situation befinden sie sich?

I  wie Interessen: Was bewegt die Zuhörer? Was wollen sie und was wollen sie nicht? Welchen Interessen ist der Redner verpflichtet?

Z  wie Ziel: Was soll mit der Rede erreicht werden? Da ist vieles denkbar: Unterhaltung, Motivation, Ehrung, Information, Beziehungspflege und so weiter. Aber man muss sich entscheiden, sonst wird es ein Wischiwaschi.

Z  wie Zusammenhang: Sind die Zuhörer und ihre Interessen in einen größeren Zusammenhang zu stellen? Ergibt sich daraus ein Thema?

A  wie Aktualität: Was beschäftigt gerade die politische Debatte, die Medien, die öffentliche Meinung? Vielleicht lässt sich daraus ein Thema ableiten, vielleicht wird ein Aspekt erkennbar, der unbedingt vorkommen muss.

Wenn man diese fünf Punkte durchgeht, hat man am Ende zumeist ein interessantes Thema für die Rede. Nun empfiehlt es sich, dieses vorläufige Thema kritisch zu überprüfen.

I  wie Information: Sind genügend gesicherte Fakten, Meinungen, Einschätzungen verfügbar bzw. zu beschaffen, um das Thema fundiert zu bearbeiten?

S  wie Stellenwert: Kann sich der Redner damit sehen lassen? Ist das Thema relevant genug?

T  wie Tischgespräch: Nach der Rede stehen die Zuhörer an Bistro-Tischen beieinander. Werden sie über den Inhalt der Rede sprechen? Oder nur darüber, wie langweilig es wieder war oder wie komisch der Versprecher?

Weiter geht es mit dem Check, ob die Rede angemessen und machbar ist. Noch ist Zeit zur Umkehr, noch können wir von vorn beginnen.

D  wie Dauer: Bekommen wir das vorgesehene Thema in den Zeitrahmen eingepasst? Ist es so komplex, so vielschichtig, dass man es verstümmeln müsste? Oder gibt es so wenig her, dass es zu sehr verdünnt werden müsste?

A  wie Applaus: Bietet das Thema Stellen, an denen das Publikum klatschen kann?

S  wie Sahnehäubchen: Gibt es Gelegenheit, eine Kür einzubauen? Eine Passage, mit der Redner sicher punktet?

Nun kommt der finale Check, ob das ausgewählte Thema wirklich geeignet ist für den Menschen, der die Rede halten soll, und für das Publikum, das sie sich anhören muss.

A  wie authentisch: Kann der Redner mit dem Thema authentisch wirken? Passt es wirklich zu ihm? Nimmt man es ihm ab? Oder denkt der Zuhörer: Da hat der Ghostwriter aber kräftig gegoogelt!

O  wie originell: Gelingt es, das Thema so darzustellen, wie es nicht schon tausendmal gemacht worden ist? Sind wir in der Lage, zu dem Gegenstand originäre, originelle Gedanken / Aspekte 7 Zusammenhänge zu entwickeln, mit denen sich unser Redner abhebt?

Es war noch nett beim Italiener. Bei mir funktioniert "Pizza ist das A & O" recht gut, hoffentlich bei Ihnen auch!


Montag, 16. Januar 2012

26. Grußwort an "chrismon"


Referentin Ulla P. schreibt: Ich habe neulich in dem evangelischen Magazin "chrismon" eine Kolumne gelesen, darin wurden Grußworte als überflüssig und Grußwortredner als lästig beschrieben. Wir müssen oft Grußworte für den Minister entwerfen; aber wenn er damit doch nur nervt - warum ersparen wir uns das nicht?

Liebe Ulla P., ich habe die Kolumne auch gelesen und kann gut verstehen, dass Sie so etwas nicht gerade motiviert. Aber "chrismon" ist nicht die Bibel, und selbst die muss immer ausgelegt werden vor dem Hintergrund der jeweiligen Situation. Die Autorin wollte vermutlich eine Veranstaltung moderieren, ein langweiliger und langatmiger Grußwörtner wird vor ihr dran gewesen sein, ihr Kärtchen-Konzept und das Zeitbudget durcheinander gebracht haben. Nun möchte sie das Kind mit dem Bade ausschütten.

Aber ich muss den Grußwörtner als solchen in Schutz nehmen. Er zwingt sich normalerweise nicht auf, sondern wird gebeten. Kann sein, man will dem Minister, dem Bürgermeister, dem Bischof, dem Superintendenten die Ehre erweisen, kann sein, man will sich mit ihnen schmücken. Kann auch sein, man will, indem man um ein Grußwort bittet, dankbar, willfährig oder höflich sein. Aber jedes Grußwort, das Gott halten lässt, ist vom Veranstalter verursacht. Er sollte dabei rigoros Grenzen setzen - die Zahl der Grußworte möglichst  knapp über null, ihre Dauer zwischen drei und zehn Minuten.

Liebe Ulla P., wie es ankommt, hängt aber auch von uns ab, die wir die Texte entwerfen. Gut formulierte, gut dosierte (und gut vorgetragene) Grußworte - siehe auch Blog-Beitrag 12 - bereichern eine Veranstaltung und belasten sie nicht. Ein gutes Grußwort regt eine zum Abwarten gezwungene Moderatorin nicht auf, sondern an. Ein gutes Grußwort kann eine Veranstaltung sogar mit einem Vorzeichen versehen, das alles aufwertet, was danach kommt. Solche Grußworte möchten wir gern schreiben.

In diesem Sinne - frohes Schaffen!

Montag, 9. Januar 2012

25. Ausnahmezustand

Wenn der Chef in die Bredouille gerät, herrscht auch für die Ghostwriter Ausnahmezustand. Sie kommen spätestens dann ins Spiel, wenn das Krisenmanagement schlecht gelaufen ist und nun der so genannte Befreiungsschlag geführt werden soll: Ein einziger Auftritt, die richtigen Worte, und schon erscheinen die Vorwürfe kleinlich oder gar falsch und die Kritiker unredlich oder gar böswillig!

Eine solche Erklärung zu entwerfen oder, noch verwegener, Aussagen für ein Interview zu entwickeln und für alles, was kommen könnte, treffende Sätze zu formulieren, gehört zu den schwierigsten Aufgaben eines Schreibhelfers. Denn die Umstände sind extrem heikel:
Das gegnerische Lager ist, wenn der Stein erst einmal richtig rollt, so kritisch wie sonst nie. Es gibt kein Guthaben und kein Wohlwollen; jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt, keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, etwas falsch zu verstehen. Mit anderen Worten: Man hat es mit gnadenlosen Gegnern zu tun.

Es kommt also auf jedes Jota an. Deswegen redet oft ein Anwalt mit. Er ist, wie der Ghostwriter, Experte des passenden Wortes, aber jeder hat eine andere Brille auf: Der eine zielt auf Eindruck, der andere auf Unangreifbarkeit; dieser hat die Öffentlichkeit im Auge, jener die juristische Dimension. Beides ist nicht immer leicht in Einklang zu bringen.

Und dann ist da der Chef selbst. Wahrscheinlich ist er stark unter Druck, denn es geht um sein Amt, um seine Ehre, um die Familie, um die Zukunft. Wahrscheinlich fühlt er sich hilflos, denn er ist es gewohnt zu agieren, und nun bestimmen andere das Geschehen. Sonst führt er Regie, und nun weiß er nicht, was als Nächstes kommt.

Wahrscheinlich hat er selbst auch schon mal einem Gegner in prekärer Lage Salz in eine Wunde gerieben; nun, da ihm Gleiches widerfährt, fühlt er sich ungerecht behandelt. Damals war ihm klar: Der Anlass kann unbedeutend sein, aber gefährlich ist die Prozedur, die man Krisenmanagement nennt: Das ist das eigentliche Glatteis, dort droht man auszurutschen. Heute, da er selbst Gegenstand dieses Spiels ist, verdrängt er diese Regeln und denkt: Warum kapieren die denn nicht, dass ich nichts Unrechtes getan habe? Wahrscheinlich sieht er viel bösen Willen, und das schärft nicht gerade den Sinn für Analyse und Strategie.

Unter diesen schwierigen Bedingungen muss die vielleicht alles entscheidende Erklärung entworfen werden. Was ist das Ziel? Und welche Stoßrichtung, welche Struktur, welche Argumente, welche Tonlage führen dahin? Auch wenn politische Affären zumeist den gleichen dynamischen Gesetzen folgen, lässt sich nur im Einzelfall bestimmen, was Erfolg verspricht. Aber es gibt ein paar Regeln, die zu verletzen einen Misserfolg in der Krisen-Abwehr nahezu garantiert.

Erstens: Wahrheit

Immer die Wahrheit und nichts als die Wahrheit! Alles was man erklärt, muss auch ein paar Recherchen später noch stimmen. Selbst wenn es in der Sache egal wäre, ob ein Kreditvertrag zwei Wochen früher oder später in Kraft trat - was dazu gesagt wird, muss absolut stimmen. Die kleinste Unwahrheit kann zur größten Gefahr werden.

Zweitens: Wahrheit plus

Immer großzügig sein: Nicht wie ein Winkeladvokat vorgehen nach dem Motto: Wenn scheibchenweise gefragt wird, antworte ich auch scheibchenweise. Jeder Nachtrag, der erzwungen wird, kostet Glaubwürdigkeit. Was - und sei es nur scheinbar - aus freien Stücken dargelegt wird, stärkt die Glaubwürdigkeit. Zusammenhänge vollständig darlegen, auch wenn es unangenehm ist. Wenn es heißt: "Er gibt immer nur zu, was ihm schon nachgewiesen ist!", dann ist es schon fünf nach zwölf.

Drittens: Klarheit

Keine Haarspalterei! Nicht schwiemeln! Natürlich darf jeder Freunde haben und sie auch besuchen. Aber eine Ferienvilla im fernen Ausland ist nun einmal etwas anderes als das Gästezimmer, in dem man nach dem gemeinsamen Kochen, Essen und Trinken müde niedersinkt.

Viertens: Konsistenz

Absolute Stimmigkeit in der Argumentation. Alle Fakten, auch im Detail, müssen zusammenpassen, sonst werden neue Zweifel, Fragen, negative Urteile provoziert.Die vorgetragenen Fakten müssen zu den subjektiven Äußerungen passen, und die müssen untereinander übereinstimmen. Es ist wirkt widersprüchlich, wenn man erst die Belastungen des Amtes beklagt und dann den früheren US-Präsidenten Harry S. Truman (sehr frei) zitiert: "Wem es in der Küche zu heiß ist, der soll nicht Koch werden wollen."

Fünftens: Zielstrebigkeit

Nicht das Ziel aus den Augen verlieren. Wenn Sachkompetenz demonstriert werden soll, dann muss man besonders sachkompetent auftreten. Wenn Sympathie zurückgewonnen werden soll, dann muss man versuchen, besonders sympathisch zu wirken. Wenn Vertrauen zurück gewonnen werden soll, dann muss man besonders vertrauenswürdig auftreten. Erst Fehler eingeräumen und dann ein dickes "Aber" hinterher schicken, das konterkariert das Ziel. Deine Rede sei ja, ja, nein, nein: Ja, diesen Fehler habe ich gemacht! Nein, dieser Vorwurf trifft nicht zu! Entschuldigungen - richtiger: Bitten um Entschuldigung - müssen überzeugend vorgetragen werden; umso härter kann die Gegenwehr in anderen Punkten ausfallen.

Sechstens: Keine Larmoyanz

Nicht jammern! Niemals den Amtsstress als Erklärung dafür anführen, warum man Fehler gemacht hat, nach dem Motto: Fünf Länder in vier Tagen, zehn Termine am Tag, und dann auch noch das! Wer als Protagonist einer politischen Affäre Mitleid sucht, soll sich an die Familie oder an Freunde wenden, aber normalerweise nicht an die Öffentlichkeit. Wie bei der Fuchsjagd nimmt die Meute die Witterung nur noch umso besser auf, und Erwin Mustermann sagt sich: Der soll sich mal nicht so haben! Ich habe es auch nicht leicht! Hat man ihm das Amt aufgezwungen?

Was das Allerwichtigste bei der Affären-Bewältigung ist, und zwar vom aller ersten Moment an, ist in George Clooneys hervorragenden Film "The Ides of March" zu sehen. Im Wahlkampfflugzeug fragt der Präsidentschaftsbewerber Mike Morris seinen Pressechef Stephen, wie es um die Kampagne stehe. ,,Toll", antwortet Stephen, und Morris erwidert: Für diese Antwort bezahle ich Paul (Leiter der Kampagne). Dich bezahle ich für die Wahrheit."

Montag, 22. August 2011

24. Reden(schreiben) und pausieren

Nun habe ich mit meiner Blog-Pause das gemacht, was beim Reden vermieden werden sollte, nämlich den Zeitrahmen zu überziehen. Das unterläuft Rednern, die sich selbst zu gerne reden hören. Ich habe meine Denkpause überzogen, weil ich mich zu gerne pausieren fühle.

Apropos: Maßvolle Pausen sind im Zusammenhang mit öffentlicher Rede in mehrfacher Hinsicht nützlich: Der Redner muss von Zeit zu Zeit eine Pause machen, weil er auf diese Weise seine Rede akustisch strukturiert: Achtung, zu diesem Punkt habe ich jetzt alles gesagt, gleich kommt etwas Neues! Pausen gliedern die Rede wie Absätze und Kapitel den Text. Wenn sich eine elegante Überleitung anbietet, wie man vom einen Abschnitt zum anderen, von diesem Aspekt zum nächsten kommt - wunderbar! Aber in einer guten Rede muss nicht sein. Der Zuhörer sollte auch so den Zusammenhang erkennen.

Übergänge, die mit dem Holzhammer gezimmert sind, können wir jeden Tag in schlechten Fernsehmoderationen hören ("Auf der A9 ist es zu einer Massenkarambolage gekommen, nachdem ein Wohnmobil in die Leitplanke gefahren war. Um eine Leitplanke ging es auch beim jüngsten deutsch-französischen Regierungstreffen, um eine Leitplanke für die europäische Währungspolitik..."). In Redemanuskripten ist so etwas zu unterlassen, und zwar ersatzlos.

Auch das Publikum braucht Pausen. Nur so kann es dem Redner folgen.  Wenn der Redner ein gewichtigen Gedanken dargelegt hat, soll er sich bei den Zuhörern setzen. Sie wollen kurz Luft holen, bevor sie sich auf den nächsten Gedanken konzentrieren. Wer aber redet wie ein Maschinengewehr, wer sein Publikum zudröhnt ohne Halt, ohne Punkt und Komma, der will  das Publikum nur beeindrucken und nicht überzeugen.

Pausen sind auch für  Redenschreiber notwendig. Wenn der Text hakt, wenn der Gedanke nicht fließen will, wenn das Blatt leer bleibt, dann hilft oft eine starke Unterbrechung. Nach dem Sport oder dem Kino sieht man klarer, ob der Ansatz in den Papierkorb gehört oder wie er zu retten ist. Längere Pausen, in schwedischen Blockhütten oder anderswo, sind von Zeit zu Zeit nötig, um über das einzelne Projekt hinaus Abstand von Themen und Methoden zu gewinnen.

Zum Beispiel: Sollte man die wirtschaftliche Lage wirklich immer anhand der Analysen der Wirtschaftsforschungsinstitute beschreiben oder gibt es - publikumsfreundliche - Alternativen? Vielleicht kann man noch einmal versuchen zu erklären, was ein Wachstum von plus zwei oder minus ein Prozent für die Menschen praktisch bedeutet? Sollte man die Erneubaren Energien vor allem anhand selbst gesetzter Planzahlen taxieren oder kann man noch besser als bisher ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Effekt darstellen? Ist es richtig, alles was sich nicht wehrt, zum Erfolg (des Redners, der Regierung, der eigenen Organisation) zu erklären? Oder ist es redlicher - und vielleicht glaubwürdiger - , durchaus  auch Probleme, Unzulänglichkeiten und Defizite zu erörtern?

Solcher Fragen gibt es viele, so dass noch ungezählte (Denk-)-Pausen ihren Stoff finden werden! Was den Guten Ghost angeht, so bloggt er erst einmal wieder weiter - allerdings nicht mehr wöchentlich, sondern gelegentlich.

Dienstag, 7. Juni 2011

23. Bei Humor hört der Spaß auf

Helmut Schmidt war ein begnadeter Redner. Schon als junger Bundestagsabgeordneter verdiente er sich mit geschliffen formulierten und scharf vorgetragenen Debattenbeiträgen den ehrenvollen Namen "Schmidt-Schnauze". Und auch als Bundeskanzler zog er die Zuhörer in seinem Bann, ob er nun zu einer großen Rede anhub oder für eine kurze, beißende Intervention das Wort ergriff. Thilo von Trotha, einer von Schmidts vier bis fünf Redenschreibern, erzählte mir einmal, dass der Kanzler spätestens auf der zweiten Seite unten eine Stelle zum Schmunzeln im Manuskript stehen haben wollte.

Humor in einer Rede erhöht die Aufmerksamkeit, und wenn es gut läuft, erleichtert er sogar das Verständnis. Ein Mittel ist das Wortspiel. Der FDP-Abgeordnete Graf Lambsdorff sprach einmal im Bundestag darüber, dass das Parlament nicht repräsentativ zusammengesetzt sei, und brachte es witzig auf den Punkt: "Das Plenum ist mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer!" Eine humorige Redewendung nimmt einer Aussage die Schärfe, ohne an Deutlichkeit zu verlieren. "Sie werden kläglich versagen, wenn es um die Schuldenbremse geht!" kann man einem konkurrierenden Politiker entgegen halten. Es klingt aber netter und mindestens so klar, wenn man beispielsweise sagt: "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, bevor Sie die Schuldenbremse einhalten!"

Wortspiele, Vergleiche, Analogien, Übertreibungen, Zitate - es gibt viele Möglichkeiten, eine Rede mit Humor zu würzen. Aber Vorsicht, beim Humor hört bekanntlich der Spaß auf! Ironie ist zum Beispiel eine gefährliche Zutat. Das Gegenteil von dem zu sagen, was man meint, und dennoch richtig verstanden zu werden, ist in der öffentlichen Rede riskant. Ironie kommt nur bei denen an, die einen Sinn dafür haben. Sie wird nur von denen verstanden, die sie decodieren können. Und wenn man als Redner dabei nachhilft, wird es leicht zu platt. Anders ist es bei Selbstironie: Das Publikum freut sich, wenn der Redner sich selbst auf den Arm nimmt, aber es sollte nicht selbstverliebt, eitel oder egozentrisch wirken.

Einen großen Bogen sollten Redenschreiber um Witze machen. Kaum etwas bei einem öffentlichen Auftritt ist so peinlich wie eine Pointe, die nicht zündet. Aber auch der beste Witz hat keine Zünd-Garantie, denn das Publikum kann abgelenkt, schlecht gelaunt oder einfach nur schwer von kapeè sein. Der Redner kann sich veratmen, falsch betonen oder es sonstwie schlecht rüberbringen. Im Übrigen besteht bei Witzen, die wirklich witzig sind, fast immer erhöhte Fettnäpfchengefahr. Wenn man einen guten und passenden Witz hat, kann man ihn dem Redner zum Manuskript beifügen, und er setzt ihn ein, wenn die Situation danach ist - d.h. vor allem, es ist ein gute Verbindung zwischen Redner und Publikum hergestellt, es herrscht eine freundliche Atmosphäre, die Zuhörer sind bereit, dem Redner ein Lachen zu schenken.

Ich selbst baue schon mal einen Witz in ein Redemanuskript ein, wenn es dem Zusammenhang dient, die Aussage klar und einschlägig ist und wenn das Publikum gut dabei wegkommt. In seiner ersten Rede vor den versammelten Verkehrsingenieuren seines Beritts erzählte der Verkehrsminister den Witz von den Managern, die bei einem Führungsseminar die Höhe eines Mastes ermitteln sollen und dabei kläglich scheitern. Dann kommen ein paar Ingenieure vorbei. Sie legen den Mast flach und messen ihn mit dem Bandmaß aus. Sagt ein Manager zum anderen: „Typisch Ingenieur! Wir wollen herauskriegen, wie hoch der Mast ist, und die sagen uns, wie lang er ist.“ Der Witz funktionierte in der Rede, denn der Minister nahm ihn als Vergleich dafür, wie verschieden die Sichtweisen auf ein Thema sein können.

Zu den genannte Gefahren von Ironie und Witz kommt noch eine weitere, seit sich Journalisten immer weniger Zeit zum Verstehen und zur treffenden Zusammenfassung nehmen und Medien immer schneller berichten, oft ohne Rücksicht auf den Zusammenhang und Nuancen. Nehmen wir einen Witz zur Hilfe: Helmut Kohl auf seiner ersten Reise nach New York. Berater warnen ihn vor raffinierten amerikanischen Journalisten. Kohl winkt ab: 'Die legen mich nicht rein'. JFK-Airport: Journalisten stürzen sich auf ihn. Einer fragt: 'Werden Sie in New York Striptease-Bars besuchen?' Kohl überlegt und meint süffisant: 'Gibt es hier Striptease-Bars?' - Schlagzeile am nächsten Tag: Erste Frage Kohls nach Ankunft in N.Y.: Gibt es hier Striptease-Bars? "

Montag, 30. Mai 2011

22. Love it or leave it

Niels H. schreibt: Was mache ich, wenn ich eine Rede schreiben soll, die nicht meiner Meinung entspricht? Ich kann doch nicht gegen meine Überzeugung schreiben!

Lieber Niels H., ich kenne das Problem gut. Ich habe Reden gegen einen gesetzlichen Mindestlohn geschrieben, obwohl ich ihn für notwendig halte. Ich habe in Redeentwürfen für die Atomkraft als "Brückentechnologie" argumentiert, obwohl ich schon immer dachte: So schnell wie möglich weg damit, und selbst dann haben wir noch tausende von Jahren ein Riesenproblem am Hals.

Wo ist die Grenze? Ich fürchte, es gibt keine Demarkationslinie - diesseits ist man noch ein Dienstleister, der seinen Job erledigt, und jenseits ist man der Opportunist oder Feigling, der die eigene Überzeugung verrät. In anderen Berufen stellen sich ähnliche Grenzfragen. Der Anwalt zum Beispiel, der einen Mörder verteidigt, vertritt vor Gericht mit größtmöglicher Plausibilität den Täter besser, als der es selbst könnte, und relativiert als Anwalt eine Tat, die er als Person verabscheut. Ist es beim Redenschreiber nicht ähnlich? Auch er versetzt sich in die Lage eines anderen und vertritt dessen Position, im besten Falle mit einer Stringenz in der Sache und mit einer Eleganz in der Form, die die Möglichkeiten des Redner noch übertreffen.

Aber es gibt einen Unterschied: Der Strafverteidiger übt sein Handwerk ausschließlich zu einem höheren Zweck aus, er dient nicht dem Mörder, sondern der Rechtspflege. Kann oder muss das der Redenschreiber auch von sich sagen? Der Ministeriumsmitarbeiter, der als Person für den sofortigen Atomausstieg ist und als energiepolitischer Referent die "Brücken"-Position seines Ministers entwickeln und vertreten muss, dient der Demokratie. Das Ministerium ist ja dazu da, dass der demokratisch legitimierte Minister überhaupt arbeiten kann, und zu seinem Berufsbild gehört nun mal vor allem das Reden. Aber wie weit geht das?

Wie man es auch dreht und wendet: Redenschreiben, zumal das hauptbufliche, ist eine - recht intime - Dienstleistung. Die Beteiligten müssen sich verstehen oder sich trennen. Im Einzelfall können und sollen sie auch mal miteinander streiten, aber generell gilt im gegenseitigen Interesse: Love it or leave it. Ein Anwalt, der es hasst, sich für Verbrecher einzusetzen, wird nicht Strafverteidiger, sondern Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Ein Arzt, der künstliche Befruchtung ablehnt, wird sich eine normale Geburtshilfestation suchen. Ein Redenschreiber, der Autobahnbau für unverantwortlich hält, sollte das Verkehrsministerium meiden.

Lieber Niels H., wie Sie sehen, kann ich Ihre Frage nicht beantworten. Vielleicht hilft Ihnen das. Trotzdem frohes Schaffen!

Montag, 16. Mai 2011

21. Ungehaltene Rede

Referent Olaf D. schreibt: Ich habe für meinen Chef eine Rede verfasst, aber er hat nicht einziges Mal auf das Blatt geschaut. Er hat frei gesprochen, und zwar etwas ganz anderes, als im Manuskript stand. Warum musste ich dann überhaupt einen Entwurf liefern?

Zunächst gratuliere ich Ihnen zu diesem Chef. Er beherrscht das Thema offenbar so, dass er auch ohne Manuskript reden kann. Freie Rede klingt nun einmal besser, da kann das Manuskript noch so gut sein. (Willy Brandt einmal ausgenommen, er konnte wie kein Zweiter vom Blatt ablesen und doch den Eindruck erwecken, als verfertige er den Gedanken beim Reden.)

Es sind viele Gründe denkbar, warum ihr Chef frei gesprochen hat. Vielleicht war er einfach nur besonders gut drauf. Vielleicht hat ein Vorredner etwas vorweg genommen von dem, was im Manuskript stand; oder der Vorredner hat etwas gesagt, das Ihr Chef nicht im Raum stehen lassen wollte. Oder Ihr Chef hat vor Ort gemerkt, dass der Charakter der Veranstaltung ein wenig anders war, als Sie am Schreibtisch antizipierten, und hat deswegen seine Rede spontan angepasst. Oder, oder, oder.

Lieber Olaf D., Ihre Mühe war trotzdem nicht umsonst. Sie sind nun mal kein Dramatiker und Ihr Chef ist nicht der Schauspieler, der Ihr Stück werkgetreu auf die Bühne bringt. Sie sind sein Helfer, Sie erarbeiten nach bestem Wissen und Gewissen einen Redeentwurf, und er nutzt ihn jeweils auf seine Weise - als Vortragstext, als Notfallreserve, als Instruktion, als Inspiration oder auch gar nicht.

Zurück zum konkreten Fall und warum Ihr Text nicht vorgetragen wurde. Hatte Ihr Chef vielleicht Angst, es würde ihm mit dem Manuskript so gehen wie einst dem Schweizer Bundesrat Hans-Rudolf Merz im Berner Parlament? Dann müssten Sie die Qualität Ihrer Texte überprüfen. Aber das glaube ich nicht.

In diesem Sinne - frohes Schaffen!

Montag, 9. Mai 2011

20. Observe by watching

Als der einstige Trainer der Basketball-Profis von Boston Celtics einmal nach seiner Erfolgsstrategie gefragt wurde, antwortete er: „You do observe a lot by watching.“

So ist es auch beim Schreiben. Man sieht viel, wenn man genau hinschaut: Wer Literatur verfassen will, sollte gute Literatur lesen. Wer Reden schreiben soll, tut gut daran, Reden zu lesen und zu hören. Das gute Beispiel regt an, ermutigt, beflügelt.

Wenn man bewusst schaut, wie andere mit ihrem Thema umgehen, traut man sich sich auch selbst mehr, macht sich freier von Sachzwängen, Zuständigkeitsgrenzen und Formulierungsbremsen beim Entwerfen des eigenen Redemanuskriptes.

Hier sind ein paar Quellen, von denen ich meine, dass da etwas zu holen ist nach dem Motto: We observe a lot by watching.
  • Die Reden des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau bieten sehr gute Beispiele für eine einfache, ausdrucksstarke Sprache. Raus Manuskripte muss man nur lesen, dann ist einem der Unterschied zwischen Referat und Rede schnell klar.
  • Interessant auch zu lesen, was Bundestagspräsident Norbert Lammert redet. 
  • Der Innenpolitik-Ressortleiter der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, hielt eine Laudatio auf die Bürgerinitiative "Bunt statt braun", die das Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen zu einer Rede des Jahres gekürt hat. 
  • Manchmal ist es nützlich, Reden auch zu hören. Große Rhetorik bietet das Medienbildungs-Portal des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg. Dort sind bedeutende politische Reden aus den letzten Jahrzehnten als Tondokumente  zusammengestellt. 
Hinweise auf weitere Quellen, die hervorragende, beispielhafte Reden als Text- und/oder Audiodateien bieten, sind willkommen!

    Montag, 2. Mai 2011

    19. Schreiben und Denken

    Referentin Petra M. schreibt: Ich bin für die Aktion "Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche" zuständig, wofür mein oberster Chef die Schirmherrschaft übernommen hat. Sein Büro fordert dazu einen Rede-Entwurf bei mir an. Aber es sagt wieder nicht, was da drinstehen soll. Ist das in Ordnung? 

    Liebe Petra M., ja, das ist richtig. Sie sind es, die für die Elch-Politik Ihres Hauses zuständig sind! Sie haben die Ziele mit formuliert, Sie haben das Programm mitentwickelt, um den Zielen näher zu kommen, und Sie arbeiten hart daran, es zu realisieren. Sie kennen die Erfolge, die bisher erreicht wurden. Sie wissen am besten, welche Schwierigkeiten es gibt und wie sie überwunden werden können.

    Jetzt steht also ein Termin an, bei dem Ihr Chef 15 Minuten sprechen soll, und zwar zu Ihrem Thema! Sehen Sie es als eine Chance, die von Ihnen vertretene Sache voranzubringen. Sie können die Akzente setzen in dem Manuskript. Sie können den Stoff auswählen und gewichten. Ihr Chef ist Ihr Verkäufer. Er macht sich zu eigen und bringt an den Mann, was Sie vorbereiten. Sie müssen sich nur etwas einfallen lassen, was zu ihm und zum Termin passt.

    Ein Ghostwriter ist immer auch, mehr oder weniger, Ghosthinker. Das gilt, wenn es darum geht, Altbekanntes neu zuzubereiten; es gilt erst recht, wenn zu einer neuen Frage - via Redemanuskript - eine Position entwickelt werden muss. Und in jedem Falle sollte man Arthur Schopenhauer beherzigen: "Für eine gelungene Rede gebrauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge."

    In diesem Sinne: Frohes Schaffen!

    Montag, 25. April 2011

    18. Blitz und Glühwürmchen

    Die Wörter, die auf "ung" enden, haben wir schon in Folge 11(siehe Archiv, linke Spalte) ausgemerzt. Apropos "ausmerzen": Jeder Text, erst recht eine Rede, wird umso stärker, je treffender man die Wörter wählt. Ausmerzen stammt aus der Schafzucht des 16.Jahrhunderts: Im März sortiert man die Tiere aus, die zur weiteren Zucht ungeeignet sind. Ein Schaf mit schiefen Kiefern oder zu wenig Muskeln wird ausgemerzt, damit es nicht seine Mängel reproduziert. Deswegen sollten wir die "ung"-Wörter nicht nur streichen, löschen oder entfernen, sondern ausmerzen. Dann sind sie ein für alle Mal vernichtet.

    Treffend oder nicht - diese Frage lohnt bei Phrasen und Bildern, die wir täglich in Reden vorkommen. Da legen wir Finger in Wunden, dass den Hygieniefachkräften schlecht wird. Dabei geht das Sprachbild auf den ungläubigen Thomas (Johannes 20, 24 - 29) zurück, der an Jesu Auferstehung nur glauben wollte, wenn er seinen Finger in die Nägelmale des Gekreuzigten legen könnte. Den Finger in die Wunde legen bedeutet also, sich unwiderlegbar zu vergewissern. Benutzt wird es aber in einem ganz anderen Sinne, nämlich auf einen Fehler oder Mangel aufmerksam zu machen. Wer das will, sollte eher Salz in die Wunde reiben.

    Mark Twain sagte: "Der Unterschied zwischen dem richtigen und einem beinahe richtigen Wort ist derselbe wie der zwischen dem Blitz und einem Glühwürmchen." Täglich begegnen uns Floskeln und Bilder, die nicht Blitze sind, sondern Glühwürmchen, und viele sogar bei Tage. So ein hässliches Würmchen ist der Vorreiter. Er hat in unserer Sprache überlebt, obwohl die Kavallerie längst abgeschafft ist. Dabei meinen wir gar nicht den berittenen Soldaten, der auf Befehl seines Leutnants voraus reitet, um einen Weg auszuprobieren oder weiter vorn Quartier zu machen, oder der voran reitet, um einem Gespann Platz zu schaffen. Was wir meinen, ist zum Beispiel ein Bundesland, das neue Wege geht und dabei so viel Erfolg hat, dass andere ihm folgen.

    Wenn wir gerade nicht Vorreiter sind, dann stellen wir Weichen und geben grünes Licht. Wir setzen etwas um, obwohl es sich weder um einen Schüler noch um einen Beamten noch um einen Baum handelt. Wir drücken auf die Tube, obwohl wir uns die Zähne schon morgens geputzt haben. Wir bringen etwas auf den Weg, aber kommt es auch ans Ziel? Wir verlassen die Talsohle, es geht wieder bergauf, aber wollen wir wirklich da hoch? Wer den Berg besteigt, macht sich viel Mühe; aber muss er nicht wieder herunter ins Tal? Wir sagen, die Schere öffnet sich, wenn zum Beispiel die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen größer wird. Die Kluft soll sich nicht öffnen, aber eine Schere muss, sonst kann sie nicht schneiden.

    Schreibdozenten raten, sich genau vorzustellen, was man da gerade schreibt. Es hilft dabei, treffend zu formulieren und Sprachgebilde zu vermeiden, die nur beinahe richtig oder aber sogar ganz falsch sind. Nun höre ich schon die Einwände: Das machen doch alle so! Und: Weiß doch jeder, was gemeint ist!  Ich halte das Alte Testament dagegen, Exodus 23,2: "Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist."

    Montag, 18. April 2011

    17. Ortsumgehung, die Zweite...

    Referent Rainer M. schreibt: Ich bin für Straßenbau zuständig. Jedes neue Projekte wird mindestens zweimal gefeiert: erster Spatenstich und dann irgendwann die Inbetriebnahme. Jedesmal werden Reden gehalten, und ich muss sie schreiben. Was kann man da machen?

    Lieber Rainer M., Sie tun mir leid. Zweimal dasselbe Projekt, zweimal dasselbe Publikum, zweimal derselbe Redner, aber zwei verschiedene Reden, das ist das Fegefeuer des Redenschreibers! (Die Hölle ist, für die Heringstage in der Stadt K. zum wiederholten Male die lustige Eröffnungsrede des Ehrengastes zu entwerfen.)

    Aber da müssen wir nun einmal durch. Was also kann beim ersten Spatenstich gesagt werden? Die geladenen Gäste wissen ja, worum es geht. Also darf man sich nicht lange dabei aufhalten, dass nun der Ort A mit dem Ort B neu verbunden oder das Dorfzentrum C künftig umfahren wird. Spatenstiche sind symbolische Ereignisse, die bewusst machen sollen: Wir stehen am Beginn einer Veränderung. Daraus lässt sich vielleicht der Honig für das Grußwort saugen: Wie lange ist der Bedarf schon artikuliert? Gab es vielleicht schon Vorläuferprojekte, die verworfen worden sind? Was hat sich verändert, dass es nun doch realisiert wird?

    Ich würde versuchen, das Thema in Sphären einzuteilen: Der erste Spatenstich markiert das Ende einer Periode des Träumens, des Wünschens, des (solange vergeblichen) Forderns derer, denen das Vorhaben zugute kommt. Das könnte die Perspektive sein, aus dem der Redeinhalt herzuleiten ist.

    Die Inbetriebnahme ist der Moment, wo die Veränderung Wirklichkeit wird. Sie markiert den tatsächlichen Anfang des Neuen. Hier könnte sich der Blick nach vorne richten: Wo ist die Wirkung? Wie ist der Nutzen? Wer muss dafür möglicherweise Nachteile in Kauf nehmen?

    Zugegeben, das klingt sehr abstrakt. Aber man braucht die abstrakten Gedanken, um den Stoff zu entwickeln und zu sortieren. Mit Kubikmeterangaben über ausgehobenen Boden oder eingebrachten Beton kann der Zuhörer jedenfalls wenig anfangen, es sei denn, er ist auch ein Ingenieur. Von öffentlich-föderaler Finanzierungsakrobatik möchte er verschont bleiben bei einem so erfreulichen Anlass. Und die planungsrechtlichen Trippelschritte, die voraus gegangen sind, verstehen nur diejenigen, die sie selbst vollzogen haben.

    Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt, wie Ihnen diese meine Antwort helfen soll. Es ist nur ein einziger Punkt: Durchdenken Sie konkret, worum es bei dem Redeanlass geht, und lassen Sie von dort aus die Gedanken schweifen.

    In diesem Sinne: Frohes Schaffen!

    PS: Kleiner Trost: Die Kollegen mit den Hochbauprojekten haben zwischen Grundsteinlegung und Eröffnung auch noch das Richtfest...

    Montag, 11. April 2011

    16. Der Küchenzuruf

    Kommt einer zu spät zur Veranstaltung und fragt: "Worüber hat denn der Minister gesprochen?" Antwort: "Das hat er nicht gesagt."

    So soll es nicht sein. Aber es kann passieren, wenn bei der Vorbereitung die wichtigste Frage nicht beantwortet oder gar nicht erst gestellt wird: Was soll der Redner eigentlich sagen? Damit meine ich nicht: Wie soll er die Rede hinter sich bringen? Ich meine: Welche Botschaft soll er verkünden?

    Das klingt eigentlich selbstverständlich. Kann man eine Rede denn überhaupt schreiben, solange die Quintessenz nicht feststeht? Nichts leichter als das! Für eine ziellose Rede füllt sich das Manuskript fast wie von selbst. Man hat ja Stoff in Hülle und Fülle, solange die Rede nicht auf eine bestimmte Aussage zuläuft.

    Nehmen wir eine Rede zum Thema Aus- und Weiterbildung. Man kann alles verwursten, was man dazu weiß oder was die Textbausteine hergeben; man kann sich aber auch für eine Botschaft entscheiden: Aktive Berufsausbildung lohnt sich für die Betriebe! Oder: Aktive Berufsausbildung ist eine Bringschuld der Unternehmen! Oder: Berufsausbildung ist ein Dienst an der Gesellschaft!

    Es gibt unzählige Möglichkeiten. Man wählt die geeignete Botschaft danach aus, welchen Charakters der Anlass ist, wer zuhören wird und welchen Hintergrund, welches Profil und welche Ziele der Redner hat. Bei der Preisverleihung für beste Ausbildungsbetriebe sollte eher über den Wert des Ausbildungsengagements von Unternehmen geredet werden. Dass es ihre verdammte Pflicht sei und dass zu wenige Unternehmen ihr nachkommen, passte besser auf eine Fachkonferenz der IHK.

    Nur wenn es eine Botschaft gibt, ergibt sich auch eine Logik, eine Argumentation, eine angemessene Stoffauswahl für die Rede. Nur wenn eine Botschaft herausgearbeitet wird, bleibt von der Rede etwas hängen. Henri Nannen, der Gründer des "stern", verlangte genau das von einer guten Magazin-Geschichte. Einer liest sie und wird in der Küche von seinem Partner gefragt, was da drinstehe, muss ihm der eine, treffenden Satz auf den Lippen liegen, der die Sache auf den Punkt bringt. Nannen nannte das den Küchenzuruf.

    So sollte es auch bei einer gelungenen Rede sein: Eine Zuhörerin kommt nach Hause, in der Küche fragt der Gatte: "Schatz, was hat der Minister denn gesagt?" Und sie antwortet: "Die müssen mehr tun für die Ausbildung, Fachkräfte werden knapp."

    Montag, 4. April 2011

    15. Bedenke das Ende!

    Wenn der römische Politiker Cato im Senat sprach, endete er stets mit demselben Satz: "Ceterum censeo Carthaginem esse delendam - Im Übrigen meine ich, dass Cathargo zerstört werden sollte." Das wäre so, wie wenn der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister jede Rede im Kieler Landtag mit dem Satz beschlösse: "Im Übrigen weise ich daraufhin, dass die Schuldenbremse beachtet werden muss."

    Wer nicht Cato oder Maybritt Illner ("Bleiben Sie heiter, irgendwie!") heißt, muss ohne eine standardisierte Schlussformel auskommen. Der Schluss einer Rede ist aber wichtig, weil er den Eindruck prägt, den der Redner hinterlässt. Ähnlich wie am Anfang ist die Aufmerksamkeit des Zuhörers am Ende besonders groß - egal ob er es aus Langeweile herbeisehnt oder ob er es fürchtet, weil er vom Redner und seinem fesselnden Stoff gar nicht genug bekommen kann.

    Der Schluss rundet den Spannungsbogen einer Rede ab. Der Redner ist ja kein Lehrer, der am Ende der Unterrichtsstunde aus vollem Lauf auf Null bremst und seinen Schülern sagen kann: "In de nächsten Stunde fahren wir fort!" Eine Rede ist auch kein Stück Fortsetzungsroman, wo der Cliffhanger seinen Platz hat: Das Ende kommt plötzlich, wenn es gerade besonders heiß hergeht: Die Eine Rede muss eine Statik haben, sonst kommt sie aus dem Gleichgewicht wie ein falsch beladenes Fuhrwerk. Und die Statik sollte der Zuhörer spüren können: Jetzt nimmt der Redner Anlauf; jetzt ist er mittendrin; jetzt geht er auf das Ende zu!

    Bei einem längeren Vortrag bietet sich an, zum Schluss die wichtigsten Punkte noch einmal kurz und einprägsam zusammen zu fassen ("Halten wir noch einmal die drei wichtigsten Punkte fest..."). Ein Grußwort endet passabel mit guten, möglichst konkreten Wünschen ("Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Jubiläumstag und vor allem bald wieder bessere Umsätze..."). Eine Führungs- oder Motivationsrede könnte mit einem Appell abschließen ("Das Wichtigste ist jetzt, dass jeder..."). Ein harter, womöglich strittiger Inhalt lässt sich mit einem besinnlichen, übergreifenden Gedanken versöhnlich abrunden ("Jetzt habe ich ausführlich dargestellt, was uns trennt. Es gibt aber auch Verbindendes..."), ein trockener Stoff mit einem Witz. (Zu Chancen und Risiken des Witzes in der Rede bei anderer Gelegenheit mehr!)

    Es gibt tausend Möglichkeiten, einer Rede passend zu schließen. Ein Patentrezept gibt es leider nicht. Das Wichtigste ist, dass die Rede überhaupt einen deutlichen Schluss hat und sich nicht einfach so davon schleicht. Auch für das Redenschreiben ist auf das Alte Testament, Buch Jesus Sirach 7,36 zu verweisen: "Was du auch tust, bedenke das Ende."

    Montag, 28. März 2011

    14. Gefährliche Wahrheiten

    Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat im Präsidium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) etwas gesagt, was er auf keinen Fall gesagt haben darf. Es kostete den BDI-Hauptgeschäftsführer den Kopf, weil ihm eine besondere Art von Protokollversehen angelastet wird, nämlich dass die Nichtworte des Ministers im Protokoll auftauchten.

    Nun wird wohl kein Redenschreiber auf die Idee kommen, etwas aufzuschreiben, was so wahr ist, dass es auf keinen Fall ausgesprochen werden darf. In der Regel wird er solche Wahrheiten nicht einmal selbst kennen. Gleichwohl stellt sich auch für die, die Redetexte für ihre Chefs zu formulieren haben, die Frage: Wie halten wir es mit der Wahrheit?

    Eine einfache Regel hat der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt aufgestellt, als er das Informationsverhalten der japanischen Regierung zur Atomkatastrophe von Fukushima kommentieren sollte. Schmidt sagte, auf Voltaire gestützt : "Eine Regierung muss nicht alles sagen, was wahr ist. Aber was sie sagt, muss wahr sein." Öffentliche Amtsträger dürften gut damit fahren, wenn sie - und ihre Redenschreiber - sich daran halten.

    Glaubwürdigkeit wird allerdings nicht nur durch Unwahrheit oder gar Lüge riskiert. Man kann sie auch durch Heuchelei gefährden - etwa wenn ein Chef auf der Betriebsversammlung die Belegschaft über den grünen Klee lobt, während er im Alltag nur Unzufriedenheit zeigt. Man kann die Glaubwürdigkeit auch durch Unwahrhaftigkeit strapazieren. Ein Mitleid erweckendes Beispiel dafür boten die Redner im Bundestag, als sie im Februar 2011 einen Minister in Schutz nahmen, dessen Dissertation auf 75 Prozent der Seiten Plagiate enthält, und zwar ganz ohne Absicht des Verfassers.

    Es hat auch schon Landesminister gegeben, die Statistiken solange hin- und herrechnen ließen, bis sich unter irgend einem Nebengesichtspunkt doch noch ein vorderer Platz ergab. Aber zu schönen, zu übertreiben, zu hoch zu greifen, verfehlt meist seinen Zweck: Die Zuhörer merken es, wenn ihnen ein X für ein U vorgemacht werden soll. Da kommt der Redner, zumal der politische Redner wesentlich weiter, der ein Problem ein Problem nennt und dann noch einen Lösungsansatz mitliefert.

    Dabei muss man gar nicht soweit gehen wie Max Frisch, der sagte: "Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand."

    Dienstag, 22. März 2011

    13. Same procedure as every year?

    Sachbearbeiter Markus G. fragt: Ich soll meinem Chef eine Festansprache schreiben, die er auf einer jährlichen Veranstaltung halten will. Im letzten Jahr musste ich zum selben Anlass einem anderen Vorgesetzten die Rede schreiben. Kann ich den alten Text wiederverwenden?

    Ja, das müssen Sie sogar - aber nur zum Zwecke des Vergleichs: Sie müssen nämlich sicherstellen, dass kein Satz vom letzten Mal im neuen Manuskript wieder vorkommt. Eine Festansprache, etwa bei der Verleihung eines Jahrespreises, ist keine Lesung wie im Gottesdienst, wo der Text seit Jahrhunderten feststeht und der Lektor nach Dienstplan wechselt.

    Sehr geehrter Markus G., die Festansprache, die Sie schreiben müssen, kommt eher einer Predigt gleich: Der Anlass steht fest, das Publikum ist wie immer, aber der Predigttext - der muss das Thema jedesmal wieder anders darstellen. Es wäre keine gute Idee, wenn Sie meinen, man könnte den Text beibehalten, wenn doch der Prediger wechselt.

    Ihr Chef macht sich lächerlich, wenn er die Rede vorträgt, die jemand anderes schon beim letzten Mal gehalten hat. Spätestens beim fragwürdigen Spruch (Beispiel aus der Praxis: "Mit 16 baust du noch Mist, mit 20 eine Hochseeyacht") wird sich jemand an das vorige Jahr erinnern. Eine böse Falle, und Sie hätten sie aufgestellt. Wenn der Chef das merkt, wird er nicht erfreut sein. Same procedure as every year? Das sollten Redner und ihre Redenschreiber unbedingt vermeiden.

    In diesem Sinne: Frohes Schaffen!

    Montag, 14. März 2011

    12. Bitte recht freundlich

    Als der Verfassungsrechtler Ingo von Münch ein paar Jahr in der Politik gearbeitet hatte, als Wissenschaftssenator und Zweiter Bürgermeister in Hamburg, da fiel ihm dieses auf: "In Deutschland gehen mehr Arbeitsstunden durch Grußworte verloren als durch Streiks." Keiner weiß, ob das stimmt. Ob aber ein Grußwort den Zuhörern wirklich nur die Zeit raubt, hängt - unter anderem - vom Manuskript ab.

    Was ist ein Grußwort? Es ist kein Vortrag, der ein vorgegebenes Sachthema ausführlich darbietet. Ein Grußwort ist keine Rede, mit der der Redner sein Publikum überzeugen, beruhigen, motivieren oder sonstwie beeinflussen will. Es ist auch keine Ansprache, in der man einen gegebenen Anlass – ob Volkstrauertag, Meisterfeier des Maurerhandwerks oder Jubiläum des Yachtclubs von 1848 – aufnimmt und eine Haltung dazu entwickelt. Ein Grußwort ist erst recht kein Diskussionsbeitrag, kein Plädoyer und schon gar nicht eine Kritik.

    Der Zweck des Grußwortes ist, wie der Name sagt, das Grüßen. Nach psychologischem Verständnis soll der Gruß Aggressionen verhindern. Jeder weiß, wie es wirkt, wenn der Gruß verweigert wird. Mit dem Gruß zeigt man, wie man zum Gegrüßten steht. Und genau das ist auch die Funktion des Grußwortes, zu dem etwa ein Minister des Gastlandes auf eine Tagung eingeladen wird.

    Daraus lassen sich ein paar Regeln ableiten, wie ein Grußwort angelegt werden sollte:
    • Es muss freundlich und höflich sein; sonst hätte man die Einladung ablehnen sollen.
    • Die zu Grüßenden, also die Tagungsteilnehmer bzw. der Veranstalter, gehören in den Mittelpunkt.
    • Im Grußwort soll ihr Anliegen, ihre Profession, ihr Thema gewürdigt werden. Der Redner soll beschreiben, wie er es sieht, wie es ihn betrifft, was er daran wichtig findet.
    • Ein Grußwort bei einer Geothermie-Tagung sollte also nicht im Wesentlichen von der Windenergie handeln, nur weil sie wichtiger ist.

    De mortuis nihil nisi bene, sagten die Lateiner. Dieses Motto sollte nicht nur gegenüber den Toten gelten, sondern auch gegenüber allen Lebenden, an die sich ein Grußwort richtet: Man sage über sie nichts außer auf gute Weise. Wenn man nichts Positives zu sagen hat, schweigt man entweder, oder aber man sagt Kritisches, dann aber ebenfalls "bene" - also fair und freundlich.

    Die Kulturgeschichte kennt viele Grußrituale. Den Kniefall, die Umarmung, die Hand an der Militärmütze. Ich stelle mir einen Herrn vor, wie er seinen Hut zum Gruß zieht und mit ihm winkt – respektvoll, aber souverän. Das ist die richtige Haltung, und dann finde ich auch die geeigneten Sätze und den passenden Ton.

    Montag, 7. März 2011

    11. Kleines Streichkonzert

    Es gibt viele Gründe, wenn ein Redetext kein großer Wurf wird. Es kann am Thema, am Anlass, am Zweck liegen, auch an der Tagesform des Verfassers. Wenn der Redenschreiber damals schlecht drauf gewesen wäre, könnte John F. Kennedy heute nicht immer wieder mit diesem Appel an den Bürger zitiert werden: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann; frage, was du für dein Land tun kannst."

    Aber es gibt ein paar kleine Regeln, wie man jeden Text, erst recht jeden Redetext, besser machen kann. Ein Tipp ist: Dezimieren Sie Wörter, die auf "ung" enden! Die Erfahrung zeigt, dass die Vermeidung dieser Wortbildungen mit "ung" eine besondere Bemühung erfordert, denn ihre Verwendung entspricht einer weit verbreiteten, eher unbewussten Übung. So also nicht. Besser: Wörter mit "ung" benutzt man unversehens, also aufgepasst!

    In einem Text heißt es: "Ich habe die Weisung erteilt, dass die Ausschreibung aufgehoben wird, weil alle Bewerbungen den Bedingungen nicht entsprachen." Man kann stattdessen formulieren: "Ich habe die Behörde angewiesen, die Ausschreibung aufzuheben. Denn alle Bewerber erfüllen nicht, was verlangt ist."

    Jedes "ung" weniger macht einen Redetext lebendiger und meistens auch konkreter. Er lebt noch mehr auf, wenn man ihn auch noch um ein paar Adjektive erleichtert. Es muss nicht der "zentrale Focus" sein, in dem etwas steht; der Focus ohne Zusatz reicht nicht nur, er ist auch stärker. Aber es geht nicht nur um Adjektive. Auch andere Beiwörter müssen ihre Funktion schon auf den ersten Blick nachweisen, sonst haben sie keine: "Eine unserer Hauptforderungen, auf die wir besonderes Augenmerk lenken" - so etwas ist ein Tummelplatz des Quallenfetts, und Quallenfett ist der Inbegriff des Überflüssigen.

    Harald Martenstein schrieb kürzlich im Zeit Magazin an einen Bild-Kolumnisten, der auch Gossen-Goethe genannt wird: "Lieber Franz Josef Wagner, beim Schreiben, haben Sie einmal gesagt, musst du ein zärtlicher Wolf sein. Oder auch: Jeder Satz ist ein Fisch. Den musst du filetieren. Erst müssen die Gräten raus, dann der Schmodder. Du musst den puren, rohen Satz schaffen, totale Verknappung, bei gleichzeitiger Poesie."

    Beim Satz in der Rede muss die Poesie nicht unbedingt sein. Aber der Schmodder muss weg.

    Montag, 28. Februar 2011

    10. Yes we can!

    Mark Twain berichtet in seinem Essay "Die schreckliche deutsche Sprache" von einem Patienten, der im Krankenhaus starb, als die Ärzte ihm ein dreizehnsilbiges Wort heraus operieren wollten. Manche deutsche Wörter, so Twain, seien so lang, "dass man sie nur aus der Ferne sehen kann". Er nennt unter anderem das Beispiel Stadtverordnetenversammlung und stellt fest: "Dies sind keine Wörter, es sind Umzüge sämtlicher Buchstaben des Alphabets."

    Solche Prozessionen sind nicht nur für Menschen schwierig, die sich mit Deutsch als Fremdsprache plagen wie einst Mark Twain. Sie sind auch für uns mühsam, und in guten Reden sind sie Gift. Im Protokoll eines norddeutschen Landtages finden wir schon auf den ersten Seiten jede Menge solcher Buchstaben-Umzüge. Das fängt mit Teilhabebeschränkungen und Handlungsmöglichkeiten an; da ist die Rede von Effektivitätssteigerungsvorschlägen und von der Armutsgefährdungsquote; es geht um Ökologisierungskomponenten, um Treibhausgaseemissionen und um Wettbewerbsbenachteiligungen.

    Bei solchen Gebilden haben es Redner und Zuhörer gleichermaßen schwer. Zu lange Wörter sollten in einem Redetext aufgelöst werden. Wie das geht, hängt sehr vom Zusammenhang ab, aber irgendwie geht es immer. Man kann ein Wortungetüm in mehrere Wörter zerteilen, also "Beschränkung der Teilhabe" statt "Teilhabebeschränkung". Man kann das zu lange Wort durch einen Satz ersetzen: Statt "Handlungsmöglichkeiten" stünde da die rhetorische Frage: "Was können wir/sie tun?" Statt "Effektivitätssteigerungsvorschläge" die Formulierung: "XY hat vorgeschlagen, wie die Effektivität gesteigert werden kann. Diese Vorschläge greifen wir auf..."

    Nun wimmelt es gerade in der Welt von Politik und Verwaltung von Fachbegriffen, und die kommen - siehe oben - gerne als Bandwurmwörter daher. Aber auch hier gilt: Kürzer ist besser, nichts steht unter Schutz. Dem Fachmann ist einst nur kein besseres Wort eingefallen. Wenn ein ungetümer Fachbegriff trotzdem unbedingt vorkommen muss, dann deklariert man ihn entsprechend und baut ihn zusätzlich ein ("Im Fachjargon heißt das...").

    Kürzere Wörter werden besser verstanden und bleiben besser haften. Am stärksten sind einsilbige Wörter. Dank an Thomas Maess für Hinweise dazu und an Barack Obama, der Kurzwortsuchern Beispiel und Ansporn zugleich gibt: Yes we can!

    Montag, 21. Februar 2011

    9. Mein und Dein der Gedanken

    Eine Rede ist keine Dissertation, ein Redner ist kein Doktorand, ein guter Ghost kein unerlaubter Helfer, und Anführungszeichen lassen sich ohnehin schlecht mitsprechen. Was also hat das Redenschreiben mit dem Fall Guttenberg zu tun? Auch jenseits der  akademischen Welt, auch beim zu sprechenden Wort, muss das Mein und Dein der Gedanken beachtet werden, jedenfalls wenn ein öffentlicher Amts- oder Funktionsträger spricht und nicht der Nachbar auf dem Gartenfest.

    Wenn man etwas Sachkundiges zur Konjunktur ins Manuskript schreiben möchte, dann kann es schlau sein, zum Beispiel eine einschlägige Rede des Bundesbankpräsidenten zu lesen. Für den Fall, dass sie Stoff für den eigenen Zweck bietet, gibt es zwei Möglichkeiten: Man ziert sich mit ihm, indem man ihn zitiert ("Auch der Bundesbankpräsident sieht es so, denn er sagte neulich....").

    Oder man macht sich einen Gedanken zu eigen, indem man ihn wirklich durchdringt und dann in neuer Formulierung, möglichst auch in variierter Argumentation verwendet. Dann braucht der, von dem die Anregung stammt, nicht (unbedingt) genannt zu werden. Große Reden sind schon immer im Dialog entwickelt worden, den die Ghostwriter und oft auch der Redner selbst vorher mit Experten und Weisen zum Thema führten.

    Was allerdings niemals geht, und da unterscheidet sich eine Rede doch nicht von der Doktorarbeit, ist die Methode Copy&Paste. Selbst wenn der Bundesbankpräsident wunderbare Formulierungen zur Konjunktur gesprochen hat, außer als ausdrückliches Zitat sind sie in einem anderen Redemanuskript tabu. Das ist nicht so sehr dem Urheberrecht geschuldet, als vielmehr dem Schutz des Redners, für den man schreibt: Fremde Sätze sind peinlich. Erst recht, wenn sie entdeckt werden, und damit ist im Google-Zeitalter immer zu rechnen...

    Montag, 14. Februar 2011

    8. Kurz und gut

    "Ihr könnt predigen, über was ihr wollt, aber predigt niemals über vierzig Minuten", empfahl Martin Luther. Allerdings ist inzwischen die Zeit knapper, die Konzentration geringer und die Autorität - selbst auf der Kanzel - kleiner geworden. Wir ziehen also für jedes Jahrhundert seit der Reformation fünf Minuten ab und kommen auf eine zeitgemäße Faustformel, die da lautet: Man kann über alles reden, nur nicht über 20 Minuten! Alles, was darüber hinaus geht, ist eine Zumutung für alle Beteiligten und braucht deshalb einen ganz besonderen Grund.

    "Viel Zeit, viel Ehr" - dieses Motto ist kein solcher Grund. Veranstalter bemessen Redezeiten oft zu lang, weil sie meinen, das schuldeten sie der Bedeutung des Redners. Umgekehrt hören sie nicht selten bei der Vorplanung: "Wenn mein Minister / Vorsitzender / Hauptgeschäftsführer schon auftritt, dann müssen Sie ihm mindestens 30 / 40 / 45 Minuten geben!" Dabei ist eine auf 20 oder 15 oder 10 Minuten begrenzte Redezeit, wenn sie zum Thema und zum Rahmen passt, durchaus keine Majestätsbeleidigung.

    Es kommt schließlich auf die Qualität und nicht so sehr auf die Quantität an. Zuviel Quantität geht leicht zu Lasten der Qualität. Oder anders gesagt: Je länger, desto dünner. Wer eine Rede abzusprechen und vorzubereiten hat, sollte also den Versuch nicht scheuen, übertriebene Redezeiten herunterzuhandeln. Vielleicht wird er für faul gehalten, aber das Publikum und der Redner werden es ihm danken.

    Allerdings muss so eine Absprache rechtzeitig geschehen. Wenn das Programm einer Veranstaltung erst einmal steht, muss der Redner die vorgesehene Dauer in etwa einhalten. Spricht er zu kurz, entsteht ein Loch im Ablauf; kann er kein Ende finden, wird vielleicht das Essen kalt.

    Wie bekommt man es hin, dass ein Manuskript der geplanten Redelänge entspricht? Auch hier hilft eine Faustformel: In fünf Minuten "verbraucht" ein Redner bei normalem Tempo im Durchschnitt etwa 450 Wörter. Wenn man in MS Word den Zähler mitlaufen lässt, hat man beim Schreiben immer im Blick, wie viel Wörter beziehungsweise Minuten noch übrig sind.

    Nun wird sich der Redner normalerweise nicht exakt an den Text halten. Aber das, was er weglässt, und das, was er frei hinzu fügt, können wir miteinander verrechnen, so dass es bei 1350 Wörtern Manuskriptlänge  für 15 Minuten Redezeit bleibt. Was am Ende zuviel ist, muss gekürzt werden. Vielleicht reicht es ja schon, alle Sätze zu streichen, die irgendwie dem Redetext des bekannten Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Stiegler ähneln. Die müssen sowieso raus...

    Montag, 7. Februar 2011

    7. Erstens, zweitens, drittens

    Der italienische Schriftsteller und Gelehrte Umberto Eco hat uns in seinem Werk "Die unendliche Liste" vor Augen geführt, wie der Mensch seit Beginn der Kulturgeschichte mit Hilfe von Listen, Katalogen und Sammlungen versucht, die endlose Vielfalt des Lebens überschaubar zu machen. Auch eine Rede muss mitunter Ordnung in eine schier unüberschaubare Menge von Fakten, Aspekten und Zielen bringen. Dabei kann eine Liste helfen.

    Das gilt zumal, wenn nicht zur Erbauung, zur Unterhaltung oder aus festlichem Anlass zu sprechen ist, sondern in der politischen Auseinandersetzung.  Dann kommt es oftmals darauf an, einen Sachverhalt schlüssig darzulegen, und dabei zugleich - sei es ausdrücklich oder zwischen den Zeilen - Fehler zu bestreiten, Vorwürfe zu entkräften, Dinge gerade zu rücken.  Einen solchen Redetext als Punktation ("Erstens, zweitens, drittens...") zu strukturieren, hat zwei Vorteile:

    Erstens: Gedankliche Disziplin. Die Struktur zwingt dazu, jene Punkte sorgfältig auszuwählen und durchzubuchstabieren, die einem wichtig (und/oder nützlich) sind. Von diesen Punkten aus denkend, ergibt sich dann fast von selbst, welches Faktum, welches Detail, welches Argument hinein gehört und welches nicht. Von Hölzchen auf Stöckchen kann man so eigentlich nicht kommen - und auch nichts Entscheidendes vergessen.

    Zweitens: Wirkung durch Klarheit. Eine solche Struktur signalisiert: Was jetzt kommt, wird nicht mal eben so aus dem Ärmel geschüttelt, sondern ist gründlich durchdacht! Das, was jetzt hier vorgetragen wird, ist das Wichtige; alles andere ist nicht von Belang!

    Diese Methode taugt übrigens nicht nur für den Sachstandsbericht oder die rhetorische Verteidigung im Parlament. Politische Redner nutzen sie gern auch, um Programmatisches einprägsam zu platzieren. Ob sieben Punkte zur Integration bei Horst Seehofer, zehn Punkte zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas bei Helmut Kohl oder 95 Thesen bei Martin Luther - immer nutzen sie die Kraft der Ordnungszahl, um ihre Sache kompakt zu machen. Wie sagte Umberto Eco zum Zauber der Liste: "Was will Kultur? Die Unendlichkeit fassbar machen."

    Montag, 31. Januar 2011

    6. Buten un binnen

    Die Regierung hat eine Offensive für besseres Wetter angekündigt. Das zuständige Referat im zuständigen Ministerium entwickelt das Projekt und dazu einen Plan, in welchen Schritten es verwirklicht werden soll - Eckpunkte festlegen, Maßnahmen ausarbeiten, mit den übrigen Ressorts abstimmen, andere Institutionen konsultieren, dem Kabinett zuleiten und so weiter, das Übliche eben.

    Weil das ein politisch so wichtiges Vorhaben ist, soll es fortan in jeder Minister-Rede vorkommen, auch wenn der Plan dazu noch nicht fertig ist:  Schaut her, daran arbeiten wir! Soweit sind wir schon gekommen! Ein ums andere Mal aktualisiert das Fachreferat seinen Redebaustein zur Wetter-Offensive entsprechend dem Projektfortschritt :  Eckpunkte festgelegt! Maßnahmen ausgearbeitet! Mit den übrigen Ressorts abgestimmt! Jetzt noch andere Institutionen konsultieren und dem Kabinett zuleiten...

    Aber woran ist zu ermessen, dass eine Sache wirklich voran gekommen ist? Der Insider mit seiner Binnensicht nimmt gern Verfahrensschritte als Meilensteine, denn so ist die Arbeit an dem Projekt ja strukturiert. Aber der Außenstehende, der Zuhörer - hat er nicht eine ganz andere Perspektive? Er möchte weniger Verfahren ("Demnächst ist die Anhörung der Wassersportler geplant") und mehr Inhalt: "Sturm ab Stärke neun schaffen wir ersatzlos ab!" Weniger Meta-Hülsen ("Wir verbessern die Rahmenbedingungen für das Wetter in Schleswig-Holstein") und mehr Konkretes: "Am 1.April ist endgültig Schluss mit Nachtfrösten."

    Beim Redenschreiben sollte man immer versuchen, ein Stück neben sich zu treten, um zu unterscheiden: Was ist reine Binnensicht und was wird der Perspektive des Außenstehenden gerecht? Ich mache dafür gerne den Hunde-Test: Bello wartet auf sein Fressen und Herrchen sagt ihm: "Prima, eine wichtige Hürde haben wir genommen, denn ich habe den Dosenöffner gefunden, mit dem ich die Frolic-Büchse öffnen kann, sobald Frauchen vom Einkaufen zurück ist." Zweifellos sind es wichtige Schritte zum Ziel, doch für den Hund sind es fremde Interna, die ihn nicht wirklich interessieren dürften.

    Ausnahmen bestätigen die Regel, das gilt selbstverständlich auch hier. Vielleicht signalisiert es dem Hund, dass das mit dem Fressen klar geht, wenn Herrchen den Dosenöffner in der Hand hat. So läuft es mitunter auch in der Politik. Deswegen kann es auch in Reden mal richtig sein, den Dosenöffner zu zeigen...